Süddeutsche Zeitung

Regierungskrise in Ägypten:Buhrufe für einfache Parolen

Demonstranten und Demokratieskeptiker: Einer demokratischen Regierungsform begegnen die Ägypter mit deutlich mehr Vorbehalten als andere muslimische Länder. Aber wächst deshalb die Gefahr einer Machtübernahme durch Islamisten?

Janek Schmidt

So laut die Protestrufe der Demonstranten in Kairo auch erschallen - die politische Einstellung vieler Ägypter ist nicht so eindeutig. Öffentliche Abstimmungen, wie zum Beispiel die Parlamentswahl im November, sind als Indikator nutzlos, da sie gefälscht und von vielen Menschen boykottiert wurden. Zugleich sind Sprecher von Oppositionsbewegungen entweder in Haft, oder sie haben sich, wie etwa die Muslimbrüder, aus Taktik und Selbstschutz mit öffentlichen Erklärungen lange zurückgehalten. Umso aufschlussreicher ist daher eine Umfrage, die das US-Institut Pew Research Center von April bis Mai 2010 unter Muslimen in Ägypten und sechs weiteren islamischen Ländern machte und am Montag veröffentlichte.

Zunächst zeigt die Studie, dass die Unterstützung für Demokratie in Ägypten mit mehr Vorbehalten verbunden ist als in vielen anderen muslimischen Ländern. So bevorzugen 81 Prozent der Muslime im Libanon und 76 Prozent der muslimischen Türken Demokratie im Vergleich zu jeder anderen Regierungsform - in Ägypten sind es hingegen nur 59 Prozent.

Zugleich war in keinem der sieben Länder die Überzeugung so verbreitet wie in Ägypten, dass es Regierungsformen gibt, die der Demokratie vorzuziehen sind: Dort sagt das fast ein Viertel der Muslime, in der Türkei sind es nur sechs Prozent. Asiem El Difraoui, Ägypten-Experte bei der Forschungseinrichtung Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sagt: "Dieses Viertel der Skeptiker kann aus drei verschiedenen Gruppen bestehen: aus Leuten, die vom Regime profitieren; Leuten, die Angst vor Fundamentalisten haben; oder auch aus Fundamentalisten selbst."

Für diese heikle Rolle des Islam und somit für die Sorge mancher Beobachter im Westen, dass die Muslimbrüder die Macht in Ägypten übernehmen könnten, sind weitere Fragen entscheidend. Denn während einige westliche Politiker einen Konflikt zwischen ägyptischen Modernisierern und Fundamentalisten ausmachen, sehen nur 31 Prozent der Ägypter einen solchen Konflikt. Das sind deutlich weniger als etwa im Libanon (53Prozent) oder in Pakistan (44 Prozent).

Ägypten-Fachmann El Difraoui sagt: "Man muss in neuen Kategorien denken: Wichtiger als der Konflikt zwischen Islamisten und gemäßigten Muslimen ist der Verteilungskampf zwischen der Gruppe, die von Mubaraks Klientel-Netzwerken profitiert, und jenen, die außen vor sind." Hinzu käme ein Klassenkonflikt zwischen neuen Superreichen und einer Unterschicht, die zwar Möglichkeiten der modernen Kommunikation habe, aber die sich keine teuren Lebensmittel wie Fleisch mehr kaufen könne.

So scheinen Ägypter auch nur bedingt Angst vor islamistischen Einflüssen auf die Politik zu haben. Zwar ist die entsprechende Frage sehr unspezifisch gestellt, dennoch fällt auf, dass 85 Prozent "den Einfluss von Islam auf die Politik" als positiv sehen - mehr als in allen anderen an der Umfrage beteiligten Ländern mit der Ausnahme von Indonesien (91 Prozent). Zugleich sagt zwar fast jeder dritte Ägypter, dass er von Islamismus "sehr beunruhigt" sei. Doch bei einer Nachfrage zu Islamismus im eigenen Land teilt diese starke Beunruhigung nur noch jeder fünfte Ägypter.

Auch SWP-Fachmann El Difraoui sagt: "Die Proteste auf den Straßen in Ägypten haben keinen islamistischen Charakter." So hätten einige Muslimbrüder auf Demonstrationszügen versucht, ihre Parole anzustimmen: "al-islam al-hal", also "Islam ist die Lösung". Doch damit seien sie gescheitert, berichtet El Difraoui: "Die Demonstranten auf der Straße, haben die Rufe der Islamisten sofort niedergebuht."

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SZ vom 02.02.2011/hai
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