Süddeutsche Zeitung

Regierungserklärung zur Euro-Krise:Merkel gibt die Trümmerfrau

"Die Politik hat jedes Vertrauen zerstört" - deshalb will Bundeskanzlerin Merkel bei der Währungspolitik alles neu und besser machen. Stärkere EU-Institutionen, neue Verträge und schärfere Kontrollen müssten her, sagt sie in ihrer Regierungserklärung. Die Angst vor einer deutschen Dominanz versucht sie zu zerstreuen, EU-Bonds lehnt sie ab. Die Opposition wirft ihr vor, dem Volk die Wahrheit zu verschweigen.

Michael König

Angela Merkel hat wieder ihre orangefarbene Tasche dabei, als sie den Bundestag betritt. Die Tasche begleitet sie seit Wochen, sie ist zu einer Art Symbol für die Politik der Kanzlerin in der Euro-Krise geworden. Orange gilt in der Psychologie als "stimmungsaufhellend, stimulierend und wird mit Lust verbunden", wie Wikipedia weiß. Das sind Attribute, die Merkel gut gebrauchen kann.

Ihr enger Partner Nicolas Sarkozy hatte am Donnerstag in einer Grundsatzrede vorgelegt: Europa befinde sich in einer "Extremsituation". "Viele Franzosen haben gelitten und werden weiter leiden", sagte der französische Präsident. Am kommenden Donnerstag will er gemeinsam mit Angela Merkel auf dem EU-Gipfel in Brüssel eine Renovierung der Euro-Stabilitätskriterien durchsetzen, eine Änderung der EU-Verträge hin zu strengeren Regeln. Merkel erwähnt Sarkozy in keinem Wort, als sie am Freitag im Bundestag spricht.

Auch sie spricht von einer Extremsituation, aber Leid ist nicht Merkels Thema. Sie demonstriert Zuversicht, Kontrolle, Entschlossenheit. Und auch Demut. "Abwegig" nennt sie die Angst vor einer deutschen Dominanz in Europa, zuletzt geäußert von der französischen Opposition. "Deutsche und europäische Einigung waren und sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Das werden wir nie vergessen."

"Wir fangen an, sie zu schaffen"

Die Schuldenkrise sei zwar "die schwerste Krise seit Einführung des Euro, wenn nicht in der Geschichte der europäischen Einigung", sagt Merkel. Aber die EU sei nun auf dem Weg zu Reformen, die vor der Krise undenkbar gewesen seien. "Wir reden nicht nur über eine Fiskalunion, wir fangen an, sie zu schaffen", sagt Merkel. Das sei nicht hoch genug einzuschätzen.

Einen "letzten Schuss" zur Beendigung der Krise könne es nicht geben, das sei auch nicht ihre Wortwahl. Das ist ein verstecktes Signal an den Koalitionspartner CSU, dessen Vorsitzender Horst Seehofer bei der Aufstockung des Euro-Rettungsschirms EFSF gesagt hatte, "bis hierhin und nicht weiter". Nach SZ-Informationen will Seehofer einen Sonderparteitag einberufen, falls die Kanzlerin den Forderungen anderer EU-Länder - darunter Frankreich - nach einem dauerhaften Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) nachgibt.

"Das müssen wir so schonungslos sagen"

Das gilt als wahrscheinlich. In ihrer Regierungserklärung betont Merkel, dass sie sich weiterhin nicht in die Belange der Zentralbank einmischen wolle. Die Unabhängigkeit der EZB, der nationalen Notenbanken und der Gerichte müsse gewährleistet sein.

Die Wurzel allen Übels liege woanders, sagt Merkel. Es gebe "einen Bereich, bei dem in dieser Krise offenkundig geworden ist, dass er leider nahezu jedes Vertrauen verspielt, verwirkt und fast zerstört hat, und zwar über Jahre hinweg." Nach einer Kunstpause fügt sie hinzu: "Das ist die Politik. Das müssen wir so schonungslos sagen."

Mit der Selbstkritik öffnet Merkel ihr Maßnahmenpaket, das sie am kommenden Montag mit Sarkozy bei einem Treffen in Paris festzurren will.

[] Deutschland und Frankreich wollen stärkere EU-Institutionen, schärfere Stabilitätskriterien und strengere Kontrolle. Regeln müssten künftig eingehalten werden, und die Einhaltung müsse kontrolliert werden. Sollten die Regeln gebrochen werden, müssten automatisch Sanktionen greifen. Auch müsse es ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof geben.

[] Eine der neuen Regeln soll eine europäische Schuldenbremse nach deutschem Vorbild sein. Zwar müssten die europäischen Staaten mit Strukturreformen für Wachstum sorgen, "aber nicht auf Pump", sagt die Kanzlerin.

[] Um all das zu garantieren, sei eine Änderung der EU-Verträge nötig. "Daran führt kein Weg vorbei", sagt Merkel. Eine Spaltung der EU in Euro- und Nicht-Euroländern solle vermieden werden, "das kann niemand wollen". Deshalb sollten Nicht-Euroländer die Möglichkeit haben, einer Vereinbarung über eine größere Verbindlichkeit in der Haushaltspolitik beizutreten. Polen habe bereits Interesse daran signalisiert.

[] Eine gemeinsame europäische Haftung sei "nicht denkbar", sagt Merkel. Die Haushaltshoheit der Länder solle vollständig erhalten bleiben "und damit erledigt sich auch die Debatte über Euro-Bonds". Über diesen Punkt wird daraufhin heftig debattiert - die Opposition geht Merkel deswegen heftig an.

Am lautesten wird Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen. "Hören Sie auf, das deutsche Volk zu belügen", ruft der gleich mehrfach. Wenn die EZB massenhaft Anleihen kriselnder Staaten aufkaufe, sei eine gemeinsame europäische Schuldenhaftung schon heute der Fall.

"Europapolitisch wie Ackergäule"

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle keift zurück, der Sachverstand der Grünen passe "in einen Plastikbeutel, für den Sie dann noch eine Zwangsabgabe fordern". Er bekräftigte das Nein der Liberalen zu Euro-Bonds. Grenzenlose Anleihekäufe durch die EZB nannte er "fatal und falsch". Der SPD warf er vor, sich "europapolitisch wie Ackergäule" zu benehmen.

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Frank-Walter Steinmeier, hatte Schwarz-Gelb zuvor vorgeworfen, ein Stabilitätsrisiko für Europa zu sein. An die Kanzlerin gerichtet, der er vier Jahre als Außenminister diente, sagte Steinmeier: "Keiner wirft Ihnen vor, dass es die Krise gibt. Aber wie Sie mit ihr umgehen, das geht auf keine Kuhhaut."

Merkel scheue, so Steinmeiers Vorwurf, in der Krisenbekämpfung die Verantwortung und schiebe diese der EZB zu: "Wenn es dunkel wird, beten Sie dafür, dass die Zentralbank weiter Anleihen kauft."

Mit Material von dapd

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