Regierungserklärung:Merkel verschärft den Ton gegenüber der Türkei

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In ihrer Regierungserklärung soll es eigentlich um die Brexit-Verhandlungen der EU gehen - doch die Bundeskanzlerin nutzt ihre Rede auch für einen Appell an Ankara.

Von Sebastian Fischer, Berlin

Als mal wieder gebrüllt wurde am Donnerstagvormittag im Bundestag, blieb die Kanzlerin so gelassen, dass es nach Absicht aussah. Sie kramte gemütlich in ihrer Handtasche, holte ihr Handy heraus und las ein bisschen, während die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht zur Replik auf Merkels Rede ansetzte. Wagenknecht rief, was Oppositionsführerinnen nun mal so rufen: Sie nannte die Türkei-Politik der Bundesregierung eines der Zugeständnisse an Präsident Recep Tayyip Erdoğan, eine "Politik ohne Anstand und Moral". Doch Merkel blickte gar nicht auf. Denn sie hatte ja gerade, zumindest verbal, genau das Gegenteil deutlich gemacht.

Eigentlich sollte es nur um die EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien gehen in Merkels Regierungserklärung. Auf einem EU-Sondergipfel am Samstag kommen die Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Staaten zusammen, um die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen zu beschließen. Natürlich sprach sie auch darüber: Merkel betonte die einvernehmliche Verhandlungslinie der EU, mahnte Großbritanniens finanzielle Verpflichtungen auch nach dem Austritt an und sagte, dass ein Drittstaat, wie es die Briten sein werden, nicht über die gleichen Rechte verfügen werde wie ein Mitgliedsstaat. "Ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen", sagte Merkel, "das aber wäre vergeudete Zeit."

"Diesen Bedenken muss die Türkei Rechnung tragen"

Doch vorher, und das war vielleicht ein wenig überraschender, widmete sie fünf Minuten ihrer nur knapp 20 Minuten langen Regierungserklärung dem Thema, das sie scheinbar noch umtreibt: die Türkei. Merkel kritisierte Erdoğan erstmals öffentlich nach dem Verfassungsreferendum vor knapp zwei Wochen, das Erdoğan knapp, unter umstrittenen Bedingungen und nach einem umstrittenen Wahlkampf für sich entschieden hatte. Sie kritisierte ihn deutlich.

Mit Blick auf den inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sagte die Kanzlerin: "Es ist mit einem Rechtstaat nicht vereinbar, wenn eine Exekutive Vorverurteilungen vornimmt." Außerdem nannte sie die in einem OSZE-Bericht enthaltenen Vorwürfe, wonach unter dem Ausnahmezustand in der Türkei demokratische Grundrechte eingeschränkt werden und der Wahlkampf vor dem Referendum unfair geführt worden sei, massiv und schwerwiegend. "Diesen Bedenken muss die Türkei Rechnung tragen."

Schon in ihrer vorherigen Regierungserklärung Anfang März hatte Merkel einen großen Teil ihrer Redezeit den deutsch-türkischen Beziehungen gewidmet, damals hatte sie sich noch sichtlich um Deeskalation bemüht und lediglich gefordert, dass Erdoğans Nazi-Vergleiche aufhören müssten.

Nun, bevor am Freitag die EU-Außenminister bei einem informellen Treffen in Malta zusammenfinden, an dem auch der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu teilnimmt, hat Merkel den Ton verschärft. Die Situation in der Türkei könne nicht unangesprochen bleiben, sagte sie, "es steht außer Frage, dass die Entwicklungen der vergangenen Wochen das deutsch-türkische und das europäisch-türkische Verhältnis stark belastet haben".

Doch während sowohl aus der CSU als auch von den Linken und in einigen EU-Staaten Forderungen nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei laut werden, mahnte Merkel auch zur Mäßigung. Zwar werde die Bundesregierung "wieder und wieder" die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in der Türkei einfordern. Doch sei eine endgültige Abkehr der Türkei von Europa oder Europas von der Türkei weder im deutschen noch im europäischen Interesse. Es seien Klugheit und Klarheit gefragt, sagte sie.

Zum Ausgang der ersten Wahlrunde in Frankreich sagte Merkel übrigens nichts. Aber als später SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann seine Vorrednerin Wagenknecht dafür rügte, den Sozialliberalen Emmanuel Macron im Wahlkampf gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen nicht zu unterstützen, da sah Merkel nicht mehr auf ihr Handy - sondern nickte angestrengt.

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