Süddeutsche Zeitung

Scholz' Regierungserklärung:Jetzt mal langsam

Lesezeit: 4 min

Eher bedächtig legt der neue Kanzler Olaf Scholz die Ziele der Ampelkoalition dar. Nur einmal geht's auch anders. Was er zur Pandemie zu sagen hat, kann man vielleicht sogar eine Vision nennen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Irgendwas stimmt nicht. Olaf Scholz hat gerade seine schwere Aktentasche abgelegt, kramt eine gelbe Mappe hervor, als er das endlich merkt. Das ist ja gar nicht sein Platz. Der neue Bundeskanzler wollte es sich eben in der zweiten Reihe bequem machen. Dabei ist der Platz des Bundeskanzlers im Bundestag in der ersten Reihe gleich rechts neben dem Präsidium eigentlich gut zu erkennen dank der erhöhten Rückenlehne. Die kleine Panne ist misslich, weil ja, was an diesem Tag noch zur Sprache kommen wird, sowieso nicht alle im Hohen Haus glücklich darüber sind, wer da nun Platz nehmen darf. Bevor es losgeht, hat Scholz den richtigen Sessel dann doch noch eingenommen. Kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder?

"Einen schönen guten Morgen, die Sitzung ist eröffnet", verkündet Bärbel Bas gut gelaunt, worauf etliche Abgeordnete wie die Schulkinder mit "Guten Morgen" antworten. Bas gefällt das. Sie ist nur ein paar Tage länger Bundestagspräsidentin als ihr Parteifreund Scholz Kanzler, aber an diesem Morgen sitzt sie offenbar schon ein bisschen fester im Sattel. "So fängt der Tag doch gut an", bemerkt sie zufrieden, bevor sie "Tagesordnungspunkt eins, Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers" aufruft. Olaf Scholz darf sich angesprochen fühlen, macht aber den Fehler, jetzt schon aufzustehen. Scholz ist lange genug Abgeordneter, um seinen Fauxpas gleich zu bemerken. Auch ein Kanzler hat zu warten, bis die Bundestagspräsidentin ihm das Wort erteilt. "Kurze Übung", sagt Bas heiter, bevor Scholz dann tatsächlich sprechen darf.

Oppositionschef Brinkhaus rügt die Kleinteiligkeit der Regierungserklärung

Die Rede in der gelben Mappe, die Scholz aus einer Aktentasche geholt hat, enthält die zentralen Anliegen der neuen Ampel-Regierung. Aber sie muss eben auch den richtigen Ton setzen. Olaf Scholz wird noch viele Regierungserklärungen abgeben, aber die erste kann er eben nur einmal halten. "Bei der Bundestagswahl am 26. September hat sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für Aufbruch und Fortschritt entschieden", beginnt Scholz, was zwei Stichworte sind, die sich durch seine Rede ziehen werden, zusammen mit der Vokabel "Respekt", einer treuen Begleiterin des sozialdemokratischen Kanzlers aus dem Wahlkampf.

Was Scholz in knapp anderthalb Stunden vorträgt, zerfällt, grob gesagt, in drei Teile. Der Kanzler hält zunächst eine Ansprache zur pandemiegeplagten Nation. Dann legt er die überwölbende Idee seiner Regierung dar, vielleicht kann man es sogar eine Vision nennen, die davon handelt, den Menschen die Angst vor den nötigen Veränderungen zu nehmen. Und sie hakt im letzten, bedauerlicherweise aber längsten Teil viel von dem ab, was auch nachzulesen wäre im Koalitionsvertrag mit dem Titel "Mehr Fortschritt wagen". Weder die zentrale Bedeutung der Tarifbindung bleibt unerwähnt noch die wichtige Rolle der Start-ups.

Der frischgebackene Oppositionsführer Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU, der bekennen wird, sich jemand anderen auf dem Kanzlersessel gewünscht zu haben, kann später einen seiner ersten größeren Treffer mit der Bemerkung landen, er erwarte vom Bundeskanzler in dessen erster Regierungserklärung nicht, "dass er kleinteilig den Koalitionsvertrag referiert". Brinkhaus hält frei eine leidenschaftliche Rede, die viel davon handelt, was Opposition soll und kann, und man ertappt sich beim nach 16 Jahren Merkel leicht extravaganten Gedanken, dass so lebhaft auch mal eine Regierungserklärung vorgetragen werde könnte.

Olaf Scholz, der, gipfelnd in den Worten "Danke, Frau Dr. Merkel", noch einmal "Bewunderung und Respekt" für seine Vorgängerin zum Ausdruck bringt, beabsichtigt die geplanten Innovationen aber offenkundig nicht auszuweiten auf seine Rhetorik. Die Ansprache gleicht einem langen, ruhigen Fluss ohne Klippen und Stromschnellen. Streckenweise liest Scholz so vom Blatt, als seien es gar nicht seine Worte. So, als erginge es ihm wie der Königin von England, die zur Parlamentseröffnung vorzulesen hat, was Boris Johnson für sie hat aufschreiben lassen.

"Ja, es wird wieder besser", verspricht Scholz, "wir werden diesen Kampf gewinnen."

Noch am wenigsten ist das so, als Scholz über die Pandemie spricht. "Mir ist bewusst, in diesen Tagen fällt es manchmal schwer, den Mut nicht zu verlieren", sagt der Kanzler. "Niemandem geht es richtig gut in diesen Zeiten. Mir nicht, Ihnen nicht, den Bürgerinnen und Bürgern nicht", fährt er fort. Es ist ein Satz, an dem nichts verkehrt ist, außer vielleicht, dass Scholz ihn schon einmal fast wortgleich verwendet hat in der Fernsehsendung "Joko & Klaas" auf Pro 7. Andererseits ist die Regierungserklärung nicht dazu da, Brandneues zu verkünden. Scholz will Mut machen. "Ja, es wird wieder besser", verspricht er, "wir werden den Kampf gegen die Pandemie mit der größten Entschlossenheit führen, und ja, wir werden diesen Kampf gewinnen."

Sowohl seinen Impfappell erneuert er als auch das "ehrgeizige Zwischenziel" von 30 Millionen Impfungen "in die Oberarme" bis Jahresende. Nach der Rechnung, die Scholz aufmacht, fehlen noch elf Millionen Dosen. "Machen Sie alle mit", appelliert er. Die Bundesregierung werde "keinen Augenblick ruhen und jeden nur möglichen Hebel bewegen, bis wir alle unser früheres Leben und wir alle unsere Freiheiten zurückbekommen haben". Scholz bezeichnet das als seine persönliche Verantwortung. Aber er spricht auch von der Verantwortung jener, die sich nicht impfen lassen.

Er verstehe den Unmut vieler, sagt Scholz, "die immer vorsichtig gewesen sind, die alles richtig gemacht haben, die sich an alle Regeln gehalten haben, die doppelt und dreifach geimpft sind". Und er klagt über "Wirklichkeitsverleugnung, absurde Verschwörungstheorien, mutwillige Desinformation und gewaltbereiten Extremismus". Die Gesellschaft sei nicht gespalten, beharrt er. "Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen", sagt Scholz. Der Kanzler wird danach noch 80 Minuten reden über Respekt in Zeiten der Globalisierung, über Klimaschutz und am Ende auch ein bisschen über Europa und die Welt. Aber das ist der Satz, der hängen bleibt. Und ein Versprechen, das er noch einlösen muss.

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