Regierungsbildung:Vorteil Sánchez

Spaniens Sozialisten sind weit von einer absoluten Mehrheit entfernt, dürften aber mehr ihrer Forderungen durchsetzen können als bisher. Eine Schlüsselrolle spielen die Basken.

Von Thomas Urban

Regierungsbildung: Spaniens Premierminister Pedro Sánchez bejubelt am Sonntagabend den Sieg der Sozialisten. Ohne ihn kann in Madrid nun keine Regierung gebildet werden.

Spaniens Premierminister Pedro Sánchez bejubelt am Sonntagabend den Sieg der Sozialisten. Ohne ihn kann in Madrid nun keine Regierung gebildet werden.

(Foto: Bernat Armangue/AP)

Die Auszählung der Stimmen brachte am frühen Montagmorgen eine überaus angenehme Überraschung für Pedro Sánchez, den Chef der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE). Er wird bei der Bildung seines neuen Kabinetts nicht auf die Abgeordneten der separatistischen Parteien in Katalonien angewiesen sein. Nach den ersten Hochrechnungen hatte es am Sonntagabend noch ganz danach ausgesehen. Nun aber ist klar: Die PSOE ist mit Abstand stärkste Partei geworden, allerdings reicht es auch zusammen mit der linksalternativen Podemos nicht für eine Mehrheit im Parlament. Sanchez braucht die Unterstützung von Regionalparteien, aber das müssen nicht unbedingt die katalanischen Separatisten sein.

Der 47-jährige Dozent für Volkswirtschaft hat nun im Vergleich zum Beginn seiner ersten Amtszeit als Premierminister einen großen Startvorteil. Damals, im Juni vergangenen Jahres, hatte Sánchez eine knappe Mehrheit für ein Misstrauensvotum gegen den Amtsinhaber Mariano Rajoy, den Vorsitzenden der konservativen Volkspartei (PP), zusammengebracht. Wenige Tage zuvor hatte ein Madrider Gericht eine Reihe von PP-Politikern wegen der Unterschlagung öffentlicher Mittel zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt und darüber hinaus der PP als Partei bescheinigt, ein illegales System aus schwarzen Kassen aufgebaut zu haben. Sánchez nutzte die Gunst der Stunde, um angesichts der allgemeinen Empörung über Rajoy und seine Gefolgsleute im Parlament Stimmen für dessen Sturz zu sammeln.

Doch nachdem er auf diese Weise zum Nachfolger Rajoys geworden war, musste er schnell feststellen, dass er politisch gelähmt war. Er bekam für keines seiner groß angekündigten Regierungsprojekte eine Mehrheit, von der Umbettung der Gebeine des Diktators Franco bis zum Staatshaushalt, der eine Umschichtung von Mitteln zugunsten sozial schwächerer Gruppen vorsah. Die PSOE verfügte damals nur über 84 der 350 Sitze im Kongress, an einer Koalition mit ihr zeigte sich keine andere Fraktion interessiert.

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Auch jetzt wird Sánchez erst einmal versuchen, ein Minderheitskabinett zu bilden; zumindest hat dies eine PSOE-Sprecherin am Montag angekündigt. Die Chancen dafür stehen gut, denn er hat gegenüber dem vergangenen Jahr nun zwei weitere große Startvorteile. Zum einen ist eine Regierungsbildung ohne die Sozialisten nicht möglich, weil sie die stärkste Partei bilden und die ideologischen Gräben zwischen den anderen Fraktionen zu tief sind. Zum anderen wird der Senat, das Oberhaus des Parlaments, das jedem Gesetzesvorhaben zustimmen muss, Sánchez nicht länger blockieren. Bislang verfügte die PP dort über die absolute Mehrheit, doch nun haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Der Senat ist zu einer Bastion der PSOE geworden.

Für die drei Parteien des rechten Spektrums, die Ciudadanos, die PP und die Nationalpopulisten von Vox, bleibt zunächst nur die Oppositionsrolle. Zusammen kommen sie nur auf 147 der 350 Sitze - und sie haben keine Chance, nennenswerte Unterstützung aus den Reihen der sieben Regionalparteien zu erhalten, die zusammen 38 Mandate errungen haben. Denn den drei rechten Gruppierungen ist gemeinsam, dass sie den Zentralstaat zu Lasten der Regionen stärken möchten. Vox strebt sogar die Auflösung der Regionalregierungen an. Genau dies aber wollen die 22 Abgeordneten aus Katalonien auf keinen Fall, ebenso wie die zehn Basken oder auch die je zwei Vertreter Navarras und der Kanarischen Inseln, die in den Kongress einziehen werden.

Für die PSOE ergibt sich eine simple Gleichung. Sánchez rechnet mit der Unterstützung des linksalternativen Bündnisses Unidas Podemos, das 42 Abgeordnete stellt. Mit den 123 PSOE-Mandaten ergibt dies zusammen 165 Stimmen im Kongress, es fehlen somit elf für die absolute Mehrheit von 176. Da sich Sánchez nicht länger von den katalanischen Separatisten abhängig machen will und kann - sie hatten auf einem neuen Unabhängigkeitsreferendum bestanden - wird er die Vertreter der anderen Regionen umgarnen müssen. Da darunter auch konservativ ausgerichtete Parteien sind, wird er viel lavieren und manches Zugeständnis machen müssen. Doch wird sein Kabinett viel stabiler und durchsetzungsfähiger sein als sein bisheriges.

Dabei kommt den sechs Abgeordneten der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) ein weiteres Mal eine Schlüsselrolle zu - sie hatten bereits beim Misstrauensvotum zum Sturz Rajoys den Ausschlag gegeben. Trotz ihres Namens vertritt die Partei gemäßigte liberalkonservative Positionen. Während der Franco-Diktatur (1939 bis 1975) waren baskische Intellektuelle ebenso wie die Sozialisten schweren Repressionen ausgesetzt. Heute strebt die PNV nicht mehr die Souveränität des Baskenlandes an. 2006 hatte es die damalige PNV-Führung versucht, doch dann beigedreht, als das Verfassungsgericht in Madrid alle Initiativen zur Loslösung von Spanien verboten hat.

Die überwältigende Mehrheit der Basken sieht heute die Autonomie als überaus vorteilhaft an; Umfragen zufolge strebt nur noch ein Drittel der Bevölkerung der Region die Sezession vom Königreich Spanien an. Der baskische Regionalpräsident Iñigo Urkullu gilt als Pragmatiker, sein Hauptinteresse ist die Verteidigung des Status der Region. Nach dem Ende der Franco-Diktatur ist es den Basken gelungen, historische Steuerrechte wiederzuerlangen, die Regionalregierung muss nur einen geringen Teil des baskischen Steueraufkommens nach Madrid abführen. Sie hat diesen Vorteil, den sonst nur noch die Region Navarra genießt, zu einer klugen Industriepolitik genutzt, die auf Biotechniken und alternative Energien setzt, und somit das Baskenland wirtschaftlich zur Aufsteigerregion gemacht. Diese Politik entzog auch der Terrororganisation Eta den sozialen Rückhalt.

Da die PP und Vox die Steuerprivilegien des Baskenlandes abschaffen möchten, liegt es im Interesse der PNV, Sánchez zu stützen, da dieser den Ausbau des föderalen Systems anstrebt. Aus der Sicht der Basken spricht zudem für Sánchez, dass die PNV die Aufhebung der Antiterrorgesetze verlangt, die einst wegen der Eta erlassen worden sind. Nach diesen Gesetzen wurde sogar die Forderung, Gespräche mit der Eta zu führen, als Unterstützung des Terrors strafrechtlich verfolgt. Die PP war hier zu keinen Zugeständnissen bereit. So läuft alles in Madrid darauf hinaus, dass konservative Basken einem Sozialisten zur Regierungsmacht verhelfen.

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