Regierungsbildung:Vertrackte letzte Meter

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Am Ende müssten die Vorteile die Nachteile überwiegen, sagt Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag vor den Koalitionsgesprächen in der Berliner CDU-Zentrale. (Foto: dpa)
  • Zum Finale der Koalitionsverhandlungen streiten sich Union und SPD um wenige, dafür aber entscheidende Fragen.
  • Auch am späten Abend zeichnet sich noch kein Kompromiss im Streit um die sachgrundlose Befristung und die Gesundheitspolitik ab.
  • Ungeklärt ist auch noch die Verteilung der Ressorts auf die Parteien.

Von Christoph Hickmann und Robert Roßmann, Berlin

Es hilft ja nichts, sie muss jetzt wieder da rein. Dabei scheint an diesem kalten Dienstagmorgen die Sonne vom blauen Himmel, was im Berliner Winter eigentlich nicht vorgesehen ist. Aber Angela Merkel wird davon nichts haben, sie muss gleich im Konrad-Adenauer-Haus den vermutlich letzten Tag dieser Koalitionsverhandlungen angehen. Doch bevor sie nach drinnen verschwindet, stellt sie sich trotz der Kälte im Blazer vor die Mikrofone und Kameras.

"Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse noch machen müssen - dazu bin ich auch bereit, wenn wir sicherstellen können, dass die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen", sagt sie. Dann wird sie grundsätzlich: Der Koalitionsvertrag sei sehr detailliert, "manche sagen kleinteilig" - doch darüber dürfe man das Zentrale nicht aus den Augen verlieren: "Wir leben in unruhigen Zeiten." Da könne man von den Volksparteien erwarten, "dass wir zum Wohle der Menschen eine Regierung bilden, eine Regierung, die Verlässlichkeit bietet". Dann geht sie hinein, es ist zehn Uhr. Nun startet wohl wirklich das Finale - das erst am Mittwoch enden soll.

Worum geht es noch an diesem Tag, was steht einer neuen großen Koalition noch im Weg? Drei Punkte nennt Merkel bei ihrem kurzen Auftritt: Es drehe sich um "Gesundheit, Arbeitsrecht, auch unsere internationale Verlässlichkeit". Bei den ersten beiden Punkten handelt es sich um zusätzliche Forderungen, die der SPD-Parteitag kürzlich nach den Sondierungsgesprächen mit der Union beschlossen hatte. Die Sozialdemokraten wollen die Unterschiede bei der Behandlung von gesetzlich und privat Krankenversicherten verringern, und sie wollen die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen erschweren. Sollte es hier keine Konzessionen geben, so heißt es seit Tagen bei den Genossen, werde es sehr schwer, die SPD-Mitglieder vor deren Votum von einem Ja zu überzeugen. Und tatsächlich ist der Druck, etwas zu erreichen, bei den Sozialdemokraten an diesem wohl letzten Tag hoch. Doch was ist mit der internationalen Verlässlichkeit gemeint? Hier soll es, heißt es in Verhandlungskreisen, um Rüstungsausgaben und um Rüstungsexporte gehen.

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So weit die inhaltliche Seite. Bei der SPD allerdings mischten sich in diese Sachfragen zuletzt immer stärker Personalfragen - oder besser: die eine große Personalfrage: Was wird aus Martin Schulz?

Vor einem Jahr war er als politischer Heilsbringer gestartet. Nun, vor dem großen Finale, galt es als unsicher, ob und wie er sich politisch noch behaupten könnte. Sein Rückhalt in der Parteiführung, so jedenfalls sah es zu Beginn dieser Woche aus, war so gut wie aufgebraucht. Der Grund dafür lag außer in vielen Fehlern und einer schweren Wahlniederlage auch in einer Festlegung, die er unmittelbar nach der Wahl getroffen hatte: Unter keinen Umständen werde er in ein Kabinett unter Angela Merkel eintreten.

Seine Gegner in der Parteiführung argumentierten nun, dass Schulz davon nicht mehr herunterkomme, ohne der Glaubwürdigkeit seiner Partei weiteren schweren Schaden zuzufügen. Andere überlegten, dass Schulz, wenn er schon ins Kabinett wolle, keinesfalls Vizekanzler werden dürfe und überdies den Parteivorsitz abgeben müsse. Wieder andere brachten als Exit-Option den Wechsel von Schulz in die EU-Kommission ins Spiel. Offen blieb zuletzt, wie Schulz sich zu all dem verhalten würde. Parallel dazu schwirrten Namen möglicher Nachfolgerinnen und Nachfolger durch die SPD. Und wenn es um die Position des Vizekanzlers ging, fiel immer wieder der Name des Hamburger Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz. Der mag zwar in der Partei nicht beliebt sein - Zweifel an seiner Kompetenz allerdings gibt es kaum.

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Auch deshalb erregte es Aufsehen, dass am Nachmittag nicht nur Schulz und Nahles, sondern auch Scholz in Merkels Büro im sechsten Stock des Adenauer-Hauses verschwanden, um dort mit Horst Seehofer und der CDU-Chefin zu beraten. Einige vermuteten, dabei könne es bereits um Personalien gehen. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt auch noch eine Reihe von Finanzierungsfragen zu klären - ein Bereich, in dem Scholz im Gegensatz zu Schulz Experte ist.

Bei befristeten Stellen sieht die Union das Hauptproblem nicht in Privatunternehmen

Strittig waren da jedoch auch noch die beiden großen Themen Zwei-Klassen-Medizin und sachgrundlose Befristung. Bei Letzterem hatte man sich besonders verhakt. Auf der einen Seite hat Nahles das Thema stark mit sich verbunden. Wenn die Sozialdemokraten an dieser Stelle zu wenig erreichten, wäre auch die neue starke Frau der SPD politisch beschädigt. Auf der anderen Seite war der Spielraum der Union nicht groß. Die CDU erkennt zwar an, dass es bei den sachgrundlosen Befristungen Missbrauch gibt, den man beseitigen sollte. Allerdings sieht die Union das Problem weniger in der freien Wirtschaft als bei staatlichen Arbeitgebern und vor allem in der Wissenschaft. Außerdem glaubt die Union, darauf achten zu müssen, nicht zu viele Verständigungen zu Lasten ihres Wirtschaftsflügels zu machen.

Bereits der Verzicht auf eine richtige Steuerreform, die nur teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung hat dort Unmut verursacht. Bei einer Neuwahl muss die Union darauf achten, auch für die Wähler, die beim letzten Mal zur FDP gewechselt sind, wieder attraktiv zu sein. Zu große Zugeständnisse an die SPD könnten das zunichte machen.

Trotzdem war der CDU klar, dass sie sich im Streit um die Befristungen noch bewegen musste. Beim Thema Zwei-Klassen-Medizin war von einer großen Konzessionsbereitschaft der CDU dagegen lange wenig zu spüren. Für das Thema sei bei der SPD Malu Dreyer verantwortlich, die habe in der SPD zwar auch eine starke Stellung, hieß es - aber nicht vergleichbar mit der von Nahles. Außerdem sei man Dreyer bereits bei den Gesprächen über die Pflege weit entgegengekommen. In der sogenannten 35er-Runde der SPD-Verhandler hieß es am späten Abend, bei beiden Themen gebe es noch keinen Durchbruch. Auch bei den Gesprächen über die Verteilung der Ressorts auf die Parteien habe man sich verhakt.

In der Union wurden die langen Verhandlungen auch damit erklärt, dass es nach einem Abschluss für die SPD-Spitze ja kein Zurück mehr geben würde. Die Sozialdemokraten hätten dann keine Möglichkeit zum Nachsteuern mehr - selbst dann nicht, wenn sich ein Nein beim Mitgliedervotum abzeichnen sollte. Entsprechend vorsichtig verhalte sich die SPD-Spitze. Und zogen sich die Verhandlungen hin, über den Dienstag hinaus. Erst als am Mittwochmorgen die Sonne durch die Wolken des Berliner Himmels blinzelte, da drang die Nachricht nach draußen, dass die Verhandler sich über die Verteilung der künftigen Ministerien verständigt hatten und eine Einigung beim Koaltionsvertrag erreicht war.

© SZ vom 07.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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