Süddeutsche Zeitung

Regierungsbildung:Rechts geht noch was

Die Annexion großer Gebiete im Westjordanland, mehr Härte im Gazastreifen, Angriffe auf die Justiz: Viele Pläne der absehbaren Koalition in Israel dürften die Lage in der Region verschärfen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Israel hatte bereits die nach eigener Darstellung rechteste Regierung seit der Staatsgründung 1948. Nach dieser Wahl wird das Land aber noch deutlich weiter nach rechts rücken, wenn Premier Benjamin Netanjahu wie erwartet eine neue Koalition zustande bekommt. Denn rechte und religiöse Parteien wurden gestärkt. Künftig dürften sogar Extremisten dabei sein. Die ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum eroberten den dritten und vierten Platz. Damit haben sie mehr Gewicht in der künftigen Koalition als bisher und bessere Chancen, ihre Anliegen durchzusetzen.

Es waren jeweils Forderungen der Partei Vereinigtes Thora-Judentum, die in den vergangenen Jahren Koalitionskrisen ausgelöst hatten. Beschränkungen für Arbeiten am Bahnnetz während des Schabbats oder die Einberufung Ultraorthodoxer zum Wehrdienst waren Konfliktthemen, die Netanjahu in tagelangen Verhandlungen entschärfen musste. Mit dem Thema Wehrdienstbefreiung wird sich die Regierung wieder beschäftigen müssen. Das Oberste Gericht verlangt die Einberufung Ultraorthodoxer wegen des Gleichheitsgrundsatzes und hat die Frist für eine Neuregelung nur wegen der Wahl verlängert.

Netanjahu droht eine Anklage wegen Bestechlichkeit. Ein neues Gesetz könnte das verhindern

Zur künftigen Koalition dürfte auch die Union der rechten Parteien zählen, der drei rechte Splitterparteien angehören, darunter die Partei Jüdische Stärke, eine extremistische Gruppierung. Ihr Vorsitzender durfte auf Anordnung des Obersten Gerichts nicht selbst kandidieren, weil er rassistische Positionen vertritt. Jüdische Stärke ist eine Nachfolgepartei der 1988 aus der Knesset ausgeschlossenen Partei Kach. Sie verlangt, das gesamte Westjordanland zu annektieren und Palästinenser auszuweisen. Außerdem will sie einen dritten jüdischen Tempel an der Stelle der zerstörten biblischen Kultbauten auf dem Jerusalemer Tempelberg bauen und die dort stehenden Moscheen abreißen lassen. Im Wahlprogramm kündigt sie einen "totalen Krieg" gegen die Feinde Israels an.

Der Vorsitzende der Union, Rafi Peretz, forderte am Mittwoch umgehend zwei von Netanjahu angeblich bereits versprochene Ministerposten. Er selbst will Bildungsminister werden, Bezalel Smotrich soll das Justizministerium übernehmen. Smotrich ist ein Knesset-Abgeordneter, der dem Ministerpräsidenten Immunität verschaffen will. Einen entsprechenden Gesetzesvorstoß hat er bereits angekündigt. Käme das durch, könnte Netanjahu nicht, wie vom Generalstaatsanwalt angestrebt, in drei Fällen wegen Korruption angeklagt werden. Zeit zur Verabschiedung eines solchen Gesetzes gibt es. Erst im Juli soll es eine Anhörung Netanjahus geben, danach wird über eine Anklageerhebung wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue entschieden. Frühestens im Dezember würde nach Einschätzungen von Rechtsexperten ein Prozess starten.

Netanjahu selbst hat sich offen gezeigt für den Vorstoß. Nach Meinung von Beobachtern zeichnet sich eine Art Tauschhandel ab. Die Immunität würde ihm persönlich nutzen, dafür würde sich Netanjahu verstärkt für die Umsetzung eines Wahlversprechens einsetzen, das den Interessen der Siedler entgegenkommt - aus deren Reihen Smotrich stammt. Im Wahlkampffinale hat Netanjahu die Annexion von Teilen des Westjordanlandes angekündigt, in Siedlerkreisen nach dem Alten Testament Judäa und Samaria genannt. Sämtliche Gebiete, in denen die etwa 400 000 jüdischen Siedler leben, sollen Teil Israels werden. Netanjahu bezog sich auf die von US-Präsident Donald Trump angekündigte Anerkennung der Annexion der Golanhöhen. Als "nächste Phase" sollen Teile des Westjordanlands annektiert werden. In einem ersten Schritt will er die israelische Rechtsprechung auf die Siedlungen ausdehnen.

Bereits zu Jahresbeginn hatte Yuli Edelstein, Sprecher der Knesset und Nummer zwei auf der Likud-Liste, diesem Vorhaben höchste Priorität nach der Wahl zugemessen: "Wir haben in der nächsten Knesset die große Aufgabe, die Souveränität über die Siedlungen in Jehuda und Samaria zu erklären. Noch vor einigen Jahren wurde jeder, der darüber sprach, als vollkommen verrückt angesehen. Wir haben das in den letzten Jahren in ein Mainstreamthema verwandelt."

Gestärkt ist allerdings auch das Oppositionsbündnis Blau-Weiß

Überall zeigt sich der Rechtsruck. Die Siedlerbewegung triumphierte. In einer Erklärung hieß es, der Wahlausgang bedeute den "Kollaps der linken Fraktionen, den Tod für einen palästinensischen Staat". Und Avigdor Lieberman, der mit dem Austritt seiner nationalen Partei Unser Haus Israel aus der Koalition die vorgezogenen Wahlen ausgelöst hatte, stellte Netanjahu am Mittwoch bereits Bedingungen für ein neues Mitwirken im Kabinett. Er habe die Regierung verlassen, weil sie zu große Zugeständnisse gegenüber der Hamas gemacht habe und nicht entschlossen genug im Gazastreifen eingegriffen habe, erklärte Lieberman. Der ehemalige Verteidigungsminister verlangte nun Nachbesserungen. Was das heißt? Lieberman hatte wiederholt eine militärische Operation im Gazastreifen verlangt. In der vergangenen Legislaturperiode hatte Netanjahu indes einen Krieg im Gazastreifen seine Zustimmung verweigert und nach Liebermans Ausscheiden selbst das Amt des Verteidigungsministers übernommen.

Auch das Oberste Gericht muss damit rechnen, dass seine Arbeit eingeschränkt wird. Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatte es Versuche gegeben, in der Knesset eine sogenannte Überstimmungsklausel zu verabschieden. Sie würde es dem Parlament erlauben, Urteile des Obersten Gerichts zu revidieren. Damit wäre das in einer liberalen Demokratie zentrale System der Kontrolle durch eine unabhängige Justiz beschädigt. Das Oberste Gericht hat Entscheidungen der Regierung immer wieder korrigiert.

Im Parlament gibt es allerdings mit Blau-Weiß auch eine deutlich gestärkte Oppositionspartei, die mit Netanjahus Likud fast gleichauf liegt. Die Arbeitspartei aber, die 2015 gemeinsam mit Tzipi Livnis Bewegung als Zionistische Union auf Platz zwei gelandet war, verlor rund drei Viertel ihrer bisherigen Wähler. In der Arbeitspartei wurde am Mittwoch bereits die Ablösung von Parteichef Avi Gabbay gefordert. Auch die linke Meretz-Partei landete auf einem historischen Tiefstand. Wie tief gespalten das Land nun ist, zeigen auch die Wahlergebnisse. In Tel Aviv hatten zwei Drittel für Blau-Weiß und die linken Parteien gestimmt, in Jerusalem drei Viertel für Likud, rechte und ultraorthodoxe Parteien.

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SZ vom 11.04.2019
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