Regierungsbildung in Wiesbaden:Hessens CDU steht vor einem schmerzhaften Spagat

Hessen - Sondierungsgespräch zwischen CDU und Grünen

Selbstbewusst: Der Grüne Tarek Al-Wazir (rechts) vor den Verhandlungen mit Volker Bouffiers CDU.

(Foto: dpa)
  • In Hessen könnte bald der Vertrag für eine Weiterführung der schwarz-grünen Koalition stehen.
  • Die Verhandlungen dafür dürften für die CDU jedoch schwieriger werden als beim letzten Mal, denn die Grünen haben mächtig zugelegt - auch auf Kosten der CDU.
  • Bei den drängenden Themen der Landespolitik - Wohnen, Verkehr und Digitalisierung - hat eine neue Regierung zudem nur wenig Spielraum.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Drei Wochen nach der hessischen Landtagswahl erfüllt sich für Christdemokraten und Grüne ein politischer Herzenswunsch. Sie können an diesem Montag mit den Verhandlungen über eine Neuauflage ihrer Regierungskoalition beginnen. Anders als vor fünf Jahren, als Schwarz-Grün als gewagtes Experiment mit zweifelhaftem Ausgang galt, kann man nun davon ausgehen, dass es eine Einigung gibt, womöglich noch vor Weihnachten. Doch auf die CDU und die Öko-Partei, die sich zuletzt in etwas behäbiger Ruhe eingerichtet hatten, kommen deutlich ungemütlichere Zeiten zu.

Denn die Kräfteverhältnisse haben sich gravierend geändert. Die Union erlitt Verluste, stellt noch 40 Abgeordnete im Wiesbadener Landtag, sieben weniger als bisher. Sie verlor Wähler an die AfD, aber auch an die Grünen. Die wiederum gehen nun breitbeiniger in die Koalitionsverhandlungen, schließlich bieten sie künftig 29 Abgeordnete statt der bisherigen 14 auf. Der Juniorpartner ist gewachsen, darf mehr Selbstbewusstsein zeigen. Der Senior ist gekränkt, irritiert, und muss sich darauf einrichten, dass der Partner vollmundiger wird.

Jede Seite weiß um die Bürde des jeweils anderen, das ist die vergleichsweise gute Nachricht. CDU und Grüne haben sich seit 2013 in oft mühsamen Runden abgestimmt, sich kennen- und dabei auch schätzen gelernt. Die Unionsspitze ist erklärtermaßen darauf eingestellt, dass die Bündnispartei mehr Einfluss nehmen wird, die Grünen wiederum wissen, dass die Schwarzen einen schmerzhaften Spagat vollbringen müssen. Sie wollen Wähler vom rechten, aber auch linksliberalen Rand zurückgewinnen. Die Erfahrung sagt, dass die CDU zunächst auf traditionelle Themen etwa in der Innen- und Sicherheitspolitik setzt. Dabei wird es nicht zuletzt um die Frage gehen, wie sich Hessen in Sachen sichere Herkunftsländer positioniert und ob das Land bereit sein wird, leichtere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber in die Maghreb-Staaten zu akzeptieren.

Wie weit die Basis beider Parteien die jeweiligen Schwenks tolerieren wird, vermögen Vertreter beider Seiten bislang noch nicht zu sagen. Klar ist aber, dass CDU und Grüne ihre Mitglieder und Anhänger künftig mehr umhegen und beruhigen müssen als bislang. Auch bei der Ressortverteilung würde das neue Stärkeverhältnis zum Ausdruck kommen. Bislang stellen die Grünen mit Tarek Al-Wazir und Priska Hinz den Wirtschafts- und Verkehrsminister sowie die Chefin des Umweltressorts. Mindestens einen Minister müsste die CDU an die Öko-Partei abgeben. Es sei denn, man greift auch in Hessen in die Zauberkiste namens Ressortzuschnitt. Dann werden Verantwortlichkeiten neu geordnet, womöglich entsteht ein neues Ministerium.

Das Innenministerium, so viel ist vor Beginn der Koalitionsverhandlungen klar, wird in CDU-Hand bleiben. Die Grünen haben keinerlei Interesse, einen Anspruch auf dieses Ressort zu erheben, das bei ihrer Klientel traditionell wenig geschätzt wird und zu den schwierigsten Häusern einer Landesregierung gehört. Überhaupt müht sich die Grünen-Spitze in diesen Tagen, Postenehrgeiz zu dämpfen. Man möchte Ruhe in den eigenen Reihen, heißt es. Wettkämpfe sollen verhindert werden und somit auch Aufregung an der in dieser Hinsicht sensiblen Basis, die nicht den Eindruck gewinnen soll, es gehe den Oberen um Prestige und Dienstwagen.

Gerade einmal eine Stimme Mehrheit hätte eine Neuauflage des schwarz-grünen Bündnisses

Bei den drängenden Themen der Landespolitik - Wohnen, Verkehr und Digitalisierung - hat eine neue Regierung zudem nur wenig Spielraum. In manchen Dingen ist der Bund verantwortlich, in anderen die Kommunen. Dennoch werden CDU und Grüne mehr Tempo machen und Ideen entwickeln müssen. Selbiges gilt für die Frage, was das Land Pendlern anzubieten hat, falls es Dieselfahrverbote nicht nur in Frankfurt, sondern in weiteren Städten des wirtschaftsstarken Rhein-Main-Gebiets geben sollte.

Der Koalitionsvertrag wird in den nächsten vier Wochen erst Schwarze und Grüne, dann auch die Öffentlichkeit beschäftigen. Ein seriöser Fahrplan ist eine gute, bekanntermaßen aber nicht hinreichende Voraussetzung für eine funktionierende Koalition. Die großen Herausforderungen kommen überall überraschend, seien es Flüchtlingswanderungen, ein Atom-GAU wie in Fukushima oder unabsehbare Entwicklungen beim Personal. Die Hessen-CDU muss in den nächsten zwei, drei Jahren die Nachfolge ihres Grünen-freundlichen Chefs und Ministerpräsidenten Volker Bouffier regeln. Es wird eine entscheidende Weichenstellung sein.

Und zuvor müssen Schwarze wie Grüne versuchen, intern Disziplin zu wahren. Gerade einmal eine Stimme Mehrheit hätte eine Neuauflage ihres Bündnisses im Landtag. Ein einzelnes, aus welchen Gründen auch immer verstimmtes Fraktionsmitglied, kann die fragile Regierungsmehrheit durchkreuzen - auch und gerade bei der für Januar anstehenden Wahl des Ministerpräsidenten.

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