"Das sollte man ernst nehmen"
Der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, hat Bundespräsident Joachim Gauck gegen Angriffe aus der Linken in Schutz genommen: "Der Bundespräsident hat nur das gesagt, was viele denken, die das Unrecht, das in der DDR vorherrschte, zum Teil noch am eigenen Leib erfahren haben. Das sollte man ernst nehmen", sagte Özdemir zu Süddeutsche.de.
"Mit Parteipolitik hat das nichts zu tun", sagte Özdemir. "Genau aus diesem Grund haben die Thüringer Grünen darauf bestanden, dass die Linkspartei in einer gemeinsamen Erklärung die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet. Die Aufarbeitung sollte aber auch die ehemaligen Blockparteien umfassen."
Gauck fehlt das Vertrauen
Gauck hatte zuvor Bedenken gegen einen möglichen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Thüringen geäußert. Dies würde ihm einiges abverlangen, sagte Gauck laut Vorabbericht in einem Interview mit der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", die an diesem Sonntag ausgestrahlt wird: "Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren."
Die Wahlentscheidung sei zwar zu respektieren, dennoch bleibe die Frage: "Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?", fragt der Präsident.
"Ein Präsident muss seine Worte sehr wägen"
Bei der Linkspartei stießen die Worte des Bundespräsidenten auf scharfe Kritik: Parteichefin Katja Kipping sagte der Bild am Sonntag: "Ein Präsident muss seine Worte sehr wägen. Sobald er sich dem Verdacht aussetzt, Parteipolitik zu machen, ist seine Autorität beschädigt."
Sie "bezweifle, dass Herr Gauck sich mit diesen Äußerungen einen Gefallen" getan habe, sagte die Linken-Politikerin weiter. Gaucks Zweifel "an der demokratischen Gesinnung" der Linken-Parteimitglieder und Wähler weise sie "in aller Form zurück". "So etwas gehört sich für einen Präsidenten nicht", sagte Kipping.
SPD-Vize Ralf Stegner schloss sich der Kritik Kippings an: "Dass sich der Herr Bundespräsident auch bei schwierigen Themen meistens sehr entschieden und klar äußert und dass dies nicht immer allen gefällt, macht seine Stärke und Popularität aus", sagte Stegner dem Tagesspiegel. In strittigen Fragen der aktuellen Parteipolitik sei allerdings Zurückhaltung "klug und geboten", "zumal die Amtsautorität des Staatsoberhauptes auf seiner besonderen Überparteilichkeit beruht."
Nach Ansicht von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verdiene Gaucks Botschaft dagegen Respekt: "Es geht in Thüringen um eine einschneidende Richtungsentscheidung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte Scheuer den Kieler Nachrichten.
Kritik auch vom Stasi-Unterlagen-Beauftragten
Derzeit stehen die Chancen für einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen nicht schlecht. Wenn die SPD, bei der momentan eine Mitgliederbefragung läuft, den Weg für Rot-Rot-Grün freimacht, könnte Bodo Ramelow am 5. Dezember gewählt werden. Damit wäre erstmals ein Politiker der Linken Ministerpräsident eines Bundeslandes.
Gauck sagte mit Blick auf die Linke, es gebe "Teile in dieser Partei, wo ich - wie viele andere auch - Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln". Gaucks Misstrauen könnte auch mit seiner Vergangenheit zusammenhängen. Der frühere DDR-Bürgerrechtler war von 1991 bis 2000 der erste Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen.
Auch der derzeitige Stasiunterlagen-Beauftragte, Roland Jahn, übte scharfe Kritik an der geplanten rot-rot-grünen Koalition in Erfurt. "Die Politiker in Thüringen sollten schon wissen, dass die Opfer der SED-Diktatur sich verletzt fühlen, wenn dort ein linker Ministerpräsident regiert", sagte Jahn der Lausitzer Rundschau vom Samstag. Die Linkspartei sei bisher nicht als eine Partei wahrgenommen worden, "der es mit der Aufarbeitung wirklich ernst ist", fügte der frühere DDR-Bürgerrechtler hinzu.