Regierungsbildung in Italien:Letztes Aufgebot der alten Garde

**BESTPIX**  Giorgio Napolitano Announces New Prime Minister To Lead New Coalition Government

Enrico Letta stellt sich nach einem Treffen mit Staatspräsident Giorgio Napolitano der Presse.

(Foto: Getty Images)

Schon bald könnte Enrico Letta Italiens neuer Regierungschef werden. An diesem Samstag, so heißt es, soll der Kompromisskandidat von Sozialdemokraten und Berlusconis PDL Staatspräsident Napolitano ein Kabinett vorschlagen. Der erhofft sich von Letta, dass er das Land von seinem Selbstvernichtungskurs abbringt. Ein Hintertürchen lassen sich beide Parteien jedoch offen.

Von Andrea Bachstein, Rom

Silvio Berlusconi gab sich am Freitag im fernen Dallas optimistisch. "Mir scheint, es gibt keine wirklichen Probleme", sagte er über die Gespräche, die endlich zur Bildung einer neuen Regierung in Italien führen sollen. Der ehemalige Premier, der mit seinem mutmaßlichen Nach-Nachfolger Enrico Letta am Vortag "30 Sekunden" am Telefon gesprochen haben will, berichtete weiter, seinen Unterhändlern zufolge gehe alles gut voran. "Aber natürlich können wir nicht so tun, als gäbe es ein hundertprozentiges Einverständnis", fügte er hinzu. Ein Hintertürchen muss ja immer offen bleiben.

Der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, der selbst wohl ganz gerne den Auftrag zur Bildung der Regierung bekommen hätte, rang sich zu einem Kompliment für den Parteikollegen Letta durch. "Das wird eine gute Regierung, Letta macht gerade eine gute Arbeit", so der Rebell der sozialdemokratischen PD. Die Partei werde geschlossen der neuen Regierung das Vertrauen aussprechen. Allerdings, so fügte Renzi hinzu, sei er dagegen, dass Parteikollegen, die gegen die neue Regierung stimmen, ausgeschlossen werden aus der PD. Auch hier ein Hintertürchen also.

Letta muss die tragenden Kräfte aus seiner PD und aus Berlusconis PDL für eine Mehrheit bündeln. Der Führer der Protestbewegung 5 Stelle, Beppe Grillo, äußerte sich zum Geschehen wie üblich auf seinem Blog: "Das ist Gruppensex, würdig dem besten Bunga-Bunga", so sein Urteil über die Versuche Lettas, aus den Personalbeständen der alten Parteien eine neue Regierung zu formen.

In diesen aufgeregten Tagen wird in Rom besonders viel geredet, jetzt, da sich das Karussell mit den möglichen Ministerkandidaten dreht und jede Partei so viele Posten wie möglich besetzten will. Die Hauptfigur, der 46-jährige Enrico Letta, hält sich mit öffentlichen Äußerungen zurück. Er ist am Freitag wieder "auf den Hügel" gefahren, wie man Besuche beim Staatspräsidenten umschreibt, und hat im Quirinalspalast zweieinhalb Stunden lang mit Giorgio Napolitano geredet. Hat ihm berichtet, was er in den vergangenen zwei Tagen unternommen hat, damit das Land wieder eine gewählte Regierung bekommt.

Dienstwagen statt Fiat

Dass Letta dieses Mal für die Fahrt einen Dienstwagen benutzte und Begleitschutz in Anspruch nahm statt wie am Mittwoch allein mit dem Familien-Fiat vorzufahren, konnte als Indiz gewertet werden, dass er schon fast Premierminister ist. Das Statement des Präsidialamts über dieses Treffen am Freitag war aber nur fünf Zeilen lang und verriet: nichts.

An diesem Samstag, so wird vermutet, werde Letta eine Liste von Ministern präsentieren. Dann könnte er sofort vereidigt werden, am Montag könnten dann die Vertrauensabstimmungen über die neue Regierung im Parlament über die Bühne gehen. Dass es zwei Monate nach der Parlamentswahl zumindest Hoffnung auf eine neue Regierung gibt, ist dem 87 Jahre alten Giorgio Napolitano zu verdanken. Am Samstag vor einer Woche verblüffte er die Bürger, als er sich zu einer neuerlichen Kandidatur überreden ließ; er wollte dem unwürdigen Spektakel der Abstimmungen über seine Nachfolge endlich ein Ende setzen.

Bereit, das maximale Chaos zu riskieren

Selbst die angesehensten Kandidaten waren von einer völlig entgleisten PD versenkt worden. Eine Woche lang präsentierte sich die Versammlung der Wahlleute, die zum allergrößten Teil aus Parlamentariern besteht, als Tollhaus; jedes Vorurteil der Italiener gegen ihre Politiker wurde übertroffen. Während die Arbeitslosigkeit steigt und die Industrie immer neue Alarmrufe absetzt, war die Politik offenbar bereit, das maximale Chaos zu riskieren - Italien ohne Regierung und ohne Staatsoberhaupt zu belassen. Kein anderer als Napolitano hätte den Selbstvernichtungskurs der Politik stoppen können.

Giorgio Napolitano genießt schon seit Jahren höheres Ansehen als alle anderen Politiker. "So lange meine Kräfte es erlauben", sagte er bei seiner Vereidigung, werde er diesen Dienst für sein Land tun. Dass er mehr Kraft und Weitsicht hat als die Parlamentarier, zu denen er sprach, wurde klar, als er ihnen die Leviten las wegen ihrer Verantwortungslosigkeit. Giorgio Napolitano ist zu einer Vaterfigur für Italien geworden in diesen Tagen der Verwirrung.

Sozialdemokraten verzetteln sich in linken Richtungskämpfen

Die alte Politik zerfällt, aber die neue hat noch keine Gestalt angenommen. Bürger, die aus Überdruss die Partei Grillos auf Anhieb unter die drei stärksten Parlamentskräfte gewählt haben, erleben nun, dass Grillos Leute unter seinem Diktat mit ihrer Macht nichts anzufangen wissen. Auch Bürger, die die PD gewählt haben, werden bitter enttäuscht sein: Italiens Sozialdemokraten hatten Reformen versprochen, doch wie ihre linken Vorgänger verzetteln sie sich in Richtungskämpfen. Grillos Partei hatte ebenso wie die PD ein vorrangiges Ziel: Berlusconi auszuschalten. Doch der profitiert nun vom Versagen Grillos und der PD und mischt wieder munter mit.

Napolitano hat deutlich gemacht, dass seine Geduld zu Ende ist. Eine Regierung wünscht er sich, die eine Verjüngung der politischen Klasse bringt und in der die Frauen angemessen repräsentiert sind - so wie sie das zum ersten Mal unter dem technischen Premier Mario Monti waren. Das Regierungsprogramm haben die von Napolitano beauftragten Sachverständigen schon umrissen: Maßnahmen, die dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft nutzen, sowie eine Wahlrechtsreform stehen oben auf der Tagesordnung.

Berlusconi verzichtet auf Ministeramt

Wer dem Kabinett angehört, vor allem auch darum geht es in diesen Stunden und Tagen. Als Minister gehandelt werden Leute wie Angelino Alfano, der Berlusconis Justizminister war. Auch Ex-Premier Giulio Amato wird wieder genannt, der in den vergangenen Wochen als Staatspräsident und als Kandidat für das Amt des Premierministers im Gespräch war.

Auf der Kabinettsliste wird niemand erscheinen, der nicht von Staatspräsident Napolitano abgesegnet wurde, auch deshalb muss sich Enrico Letta so intensiv mit ihm beraten. Es heißt, Napolitano habe sich ein besonderes Mitspracherecht für die Ressorts Justiz und Wirtschaft ausbedungen. Sicher war am Freitag nur, dass Silvio Berlusconi nicht dem Kabinett angehören wird. Er habe verzichtet, teilte Berlusconi mit.

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