Regierungsbildung in Hessen:Im Nebel der Geschwätzigkeit

Das rot-grün-rote Lager in Hessen ereifert sich über Symbole - doch in den Programmen ergeben sich derart große Schnittmengen, dass Rot-Grün-Rot fast wie eine Selbstverständlichkeit wirkt.

Christoph Hickmann

Über Hessen legt sich in diesen Tagen ein starker Nebel. Der Nebel wird immer dichter und verhindert eine klare Sicht. Es ist ein Nebel der Worte, der vor allem von diversen Politikern der Linkspartei erzeugt wird, auf dass man die eigentlich wichtigen Wetterphänomene im Land nicht mehr erkennen kann.

Regierungsbildung in Hessen: undefined
(Foto: Foto:)

Ein Linken-Vertreter fordert, den Frankfurter Flughafen nicht auszubauen (obwohl oder vielleicht weil er weiß, dass der Ausbau bereits genehmigt ist, und die SPD ihn will). Der nächste will unliebsame Sozialdemokraten wie den Ypsilanti-Rivalen Jürgen Walter nicht in einem Minderheitskabinett sehen.

Ein Dritter will den Verfassungsschutz zwar nicht morgen, aber gern übermorgen abschaffen - was in der allgemeinen Hysterie gleich als unüberwindbare Hürde für die Tolerierung einer rot-grünen Regierung durch die Linkspartei interpretiert wird. Hinzu kommen Wortmeldungen aus der SPD, und auch die Grünen mögen dazu nicht schweigen. Über Hessen hängt der Nebel des Geschwätzes.

So wichtig es sein mag, für das riskante Projekt Links-Tolerierung Bedingungen auszuhandeln, so sehr ist die aktuelle Kakophonie von drei Motiven bestimmt, die mit den Inhalten nichts zu tun haben. Motiv Nummer eins treibt vor allem Bundespolitiker der beteiligten Kräfte: In Hessen wird Parteiengeschichte geschrieben, das fordert starke Nerven.

Motiv Nummer zwei ist der Mikro-Ebene, der hessischen Parteitaktik geschuldet. Wenn etwa der SPD-Mann Walter den Linken-Abgeordneten Ulrich Wilken dafür lobt, dass dieser vermeintlich vorbehaltlos seine Zustimmung zum nächsten Haushalt zugesagt habe, dann findet hier keine rot-rote Verbrüderung statt. Vielmehr weiß Walter, dass er für die Linken-Basis eine Reizfigur ist.

Er weiß außerdem, dass der Linken-Mann Wilken sich demnächst einer Kampfkandidatur um den Landesvorsitz stellen muss. Lobt er ihn nun als jemanden, der Kernpositionen der Linken räumt, macht er ihn bei großen Teilen der Basis unmöglich und stärkt dort jene Gruppe, der selbst die Tolerierung einer Minderheitsregierung ein Graus ist. Unterhalb des großen Ziels spielen derzeit viele Akteure auf eigene Rechnung.

Das dritte Motiv hat mit den grundsätzlichen Anbandelungs-Schwierigkeiten in einer neuen Beziehung zu tun. Wie immer, wenn es um neue Bündnisse geht, müssen die Partner besonders klar abstecken, was mit ihnen geht und was nicht. Das war einst bei Rot-Grün nicht anders als jüngst beim ersten schwarz-grünen Bündnis auf Landesebene in Hamburg. Es geht dann nicht nur um tagespolitische Inhalte, auf die sich eine Koalition verständigt.

Es geht auch darum, mittel- bis langfristig Positionen und somit Strategien festzulegen. In der Landespolitik werden keine Richtungsentscheidungen gefällt, daher geht es dort umso mehr um Symbolik. Um für den Wähler erkennbar zu bleiben, überhöhen die Parteien Konflikte ins Grundsätzliche. Besonders wichtig ist das für die Linke: Wird sie im Westen nicht mehr als Protestpartei, sondern als reine Mehrheitsbeschafferin wahrgenommen, verliert sie einen Großteil ihrer Anziehungskraft.

In Hessen wissen Linke und Grüne, dass der Ausbau des Frankfurter Flughafens kommen wird, so die Pläne vor Gericht bestehen. Deshalb müssen sie wenigstens den Eindruck erwecken, sie hätten versucht, ihn zu verhindern. Die SPD wiederum weiß, dass sie im Gegenzug auf den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden verzichten muss.

Legt man aber die Programme von SPD, Grünen und Linkspartei jenseits dieser symbolisch aufgeladenen Konflikte nebeneinander, ergeben sich etwa in der Bildungs- und Umweltpolitik derart große Schnittmengen, dass Rot-Grün-Rot beinahe wie eine Selbstverständlichkeit wirkt. Die Inhalte sind dann bei allen Nuancen plötzlich nicht mehr das Problem. Man wird das merken, wenn irgendwann doch noch über sie geredet wird.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: