Regierungsbildung in Bulgarien:Fragwürdige Partnerschaft

Bulgarian newly-elected Prime Minister Oresharski walks at the end of a session in the parliament in Sofia

"Für mehr Solidarität und soziale Gerechtigkeit": Der neue Ministerpräsident Plamen Orescharski will die  Krise des Landes in den Griff bekommen

(Foto: REUTERS)

Bulgariens neuer Premier Orescharski bringt eine Regierung zustande und kündigt Reformen an. Doch um Mehrheiten im Parlament zu bekommen, wird er mit Rechtsextremen zusammenarbeiten müssen. Die Stabilität der neuen Regierung ist fraglich.

Von Klaus Brill

Nach der unerwartet rasch gelungenen Regierungsbildung in Bulgarien will der neue Ministerpräsident Plamen Orescharski auf allen Sektoren die schwere Krise des Landes anpacken und "für mehr Solidarität und soziale Gerechtigkeit" sorgen. Dies erklärte der parteilose Politiker, der von den Sozialisten nominiert worden ist, nach seiner Vereidigung in Sofia. Da sein Kabinett im Parlament nur exakt die Hälfte der 240 Abgeordneten hinter sich hat, bleibt es weiter auf eine Duldung durch die rechtsextreme Partei Ataka (Angriff) angewiesen.

Diese Gruppe, die von dem exzentrischen früheren Fernsehmoderator Wolen Siderow geführt wird und die neue Regierung eigentlich nicht unterstützt, hatte es schon am Mittwoch mit einem taktischen Manöver ermöglicht, dass Orescharski überhaupt gewählt werden konnte. Die Ausgangslage war für den 53-jährigen Regierungschef zunächst schwierig gewesen. Nach den geltenden Regeln kann das Parlament nur Beschlüsse fassen, wenn daran mindestens 121 der 240 Abgeordneten mitwirken, einer mehr als die Hälfte.

Wie stabil ist die neue Regierung?

Da nach der Parlamentswahl vom 9. Mai die Sozialisten (84 Mandate) und die mit ihnen verbündete Bewegung für Rechte und Freiheiten als Vertretung der türkischen Minderheit (36 Mandate) gemeinsam aber nur auf 120 Abgeordnete kommen, hing alles vom Verhalten ihrer Gegner ab. Die bisher regierende konservative Partei GERB und ihr Führer Bojko Borissow, der frühere Ministerpräsident, versuchten die Wahl zu verhindern. Ihre 97 Parlamentarier begaben sich zwar ins Parlament, ließen sich aber nicht registrieren. Ataka- Führer Siderow jedoch durchkreuzte den Boykottplan dadurch, dass er selber sich als einziger seiner 23 Parlamentarier registrieren ließ und damit das Quorum von 121 sicherstellte.

Beim späteren eigentlichen Vertrauensvotum bekam das Kabinett Orescharski dann mit 120 gegen 97 Stimmen die erforderliche einfache Mehrheit, wobei diesmal offenbar die Konservativen geschlossen mit Nein stimmten und Ataka sich zurückhielt. Parteichef Siderow erklärte jedoch drohend, Ataka könne die Regierung jederzeit stürzen, wenn man feststelle, dass es Lobbyismus oder irgendwelche Aktionen gegen die Interessen des Volkes gebe. Kritik übte er daran, dass im neuen Kabinett zu viele Parteipolitiker - also Angehörige der Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit - säßen. Der Türken- Gruppe steht Ataka traditionell geradezu feindlich gegenüber. Für die Zukunft wirft dies ernste Fragen nach der Stabilität der neuen Regierung auf.

Auch bei Gesetzesvorhaben braucht sie jeweils die Beteiligung von mindestens 121 Parlamentariern, Boykottversuche könnten sich wiederholen. Andererseits verfügen die bürgerliche GERB und Ataka zusammen ebenfalls nur über 120 Stimmen, könnten also kein Misstrauensvotum mit Aussicht auf Erfolg einbringen. Ob zwischen Sozialisten und Rechtsradikalen geheime Absprachen getroffen wurden, wurde bisher nicht bekannt.

Öffnung zur bürgerlichen Mitte

Immerhin verkörpert Ministerpräsident Orescharski, der als parteiloser Finanzexperte bereits sowohl einem sozialistisch geführten als auch einem konservativen Kabinett angehört hat, eine Öffnung zur bürgerlichen Mitte hin. Nach Medienberichten will er vorerst die von ihm selber und den Sozialisten 2007 eingeführte Einheitssteuer (Flat tax) von zehn Prozent auf alle Einkommen, die auch von GERB unterstützt wird, nicht abschaffen, wie dies im Wahlkampf die Sozialisten propagiert hatten. Eine andere Forderung der Linken, nämlich das von den Bürgerlichen beendete Projekt eines Atomkraftwerkes in Belene an der Donau wieder aufzunehmen, will der neue Premier hingegen womöglich aufgreifen, wie er am Sonntag im Fernsehen andeutete. Der Entscheidung müsse aber eine detaillierte Analyse vorangehen.

Dem Kabinett gehören insgesamt 16 Minister an, davon drei Vertreter der Türken und mehrere Parteilose, der Rest Sozialisten. Besondere Aufmerksamkeit erregte die Benennung der Diplomatin Sinaida Slatanowa zur Vize-Ministerpräsidentin und Justizministerin. Sie leitete bisher die Vertretung der EU-Kommission in Sofia und soll künftig dafür sorgen, dass Bulgarien die bereitstehenden EU-Mittel besser abruft und genehmigungsfähige Projekte vorstellt. Außenminister wird der Europaabgeordnete Kristian Wigenin, der auch den Führungsgremien der Sozialistischen Partei angehört. Der zunächst von Orescharski benannte Kandidat für das neue Amt eines Ministers für Investitionen, ein Sozialist, zog sich sofort zurück, nachdem bekanntgeworden war, dass er an fragwürdigen Grundstücksgeschäften am schwarzen Meer beteiligt gewesen sein soll.

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