Regierungsbefragung im Bundestag:Wie die Koalition die Opposition auf Abstand hält

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Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich bei der ersten Fragestunde im Juni 2018 den Abgeordneten. (Foto: dpa)
  • Union und SPD wollten den Bundestag zu einem "zentralen Ort der politischen und gesellschaftlichen Debatte" machen - so steht es im Koalitionsvertrag.
  • In einer Neufassung der Geschäftsordnung wird die wichtigste Errungenschaft des vergangenen Jahres festgeschrieben: Die direkte Befragung der Kanzlerin.
  • Doch dafür soll die wöchentliche Regierungsbefragung deutlich eingeschränkt werden.
  • Die Opposition fürchtet, das Parlament könne zur "irrelevanten Quatschbude" degradiert werden.

Von Stefan Braun, Berlin

Grüne, Linke und Liberale trennen oft Welten, im Ärger über die Koalition aber können sie schon mal zusammenfinden. Und genau das ist jetzt wieder passiert. Der Streit um die Gestalt der Regierungsbefragung hat einen großen Graben zwischen Koalition und Opposition aufgeworfen.

Dabei hatte die Geschichte dieses Mal eigentlich gut angefangen. Kaum war im März vor einem Jahr der Koalitionsvertrag unterzeichnet, lobten sich Union und SPD schon selber für ihre Botschaft an die Oppositionsfraktionen. Auf Seite 18 des Koalitionsvertrags gaben sie es den Grünen, Linken und Liberalen sogar schriftlich: Man werde den Bundestag, so steht es da, "zu einem zentralen Ort der politischen und gesellschaftlichen Debatte machen". Und um dieses Ziel zu erreichen, so versprachen es die Koalitionäre, werde man die Regierungsbefragung "reformieren". Das klang gut in den Ohren der kleinen Fraktionen.

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Jahrzehntelang hatten sie dafür geworben, das dröge Ritual am jedem Mittwochmittag einer Parlamentswoche interessanter, spontaner, leidenschaftlicher zu gestalten. Umso mehr freuten sich Grüne, Liberale und Linke über die vermeintliche Kehrtwende. Ein Jahr später allerdings ist von der guten Laune wenig geblieben und der Ärger groß. Denn während sich informell in den letzten zwölf Monaten manches verbesserte, ist der jetzt schriftlich vorgelegte Entwurf für eine Änderung der Geschäftsordnung aus Sicht der Opposition eine einzige Provokation.

Opposition spricht von einem "Anschlag auf das Fragerecht"

Bei einem gemeinsamen Auftritt sprach der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, von einer Katastrophe, weil sich Vieles plötzlich verschlechtern werde. Sein Kollege von der FDP, Marco Buschmann, wurde noch deutlicher und betonte, ausgerechnet in Zeiten, in denen Demokratie und Parlamentarismus unter Druck stünden, wolle die Koalition den Bundestag als "irrelevante Quatschbude" darstellen. Britta Haßelmann von den Grünen sprach von einem "Anschlag auf das Fragerecht" der Abgeordneten.

Hintergrund ist die Tatsache, dass Union und SPD in ihrem Vorschlag, der am Donnerstag durchs Parlament soll, wieder ein paar Schritte zurückgehen, auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussieht. So haben sie die wichtigste Errungenschaft des vergangenenJahres festgeschrieben: Künftig wird sich die Kanzlerin genauso wie dereinst ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin regelmäßig den Fragen der Abgeordneten stellen. Angela Merkel tat das 2018 zwei Mal, künftig soll es dazu drei Mal im Jahr Gelegenheit geben. Außerdem wird die Regierungsbefragung auf 60 Minuten festgeschrieben. Früher sind es oft nur 30 Minuten gewesen.

Im Gegenzug allerdings wollen Union und SPD kleine Erfolge der letzten Monate wieder zurückdrehen. Zuletzt waren oft mehrere Minister anwesend, dazu war das Ziel, dass die Abgeordneten wirklich auch den Minister oder die Ministerin befragen können, in deren Ressort aktuelle Themen oder Probleme fallen. Nun heißt es im Vorschlag der Koalitionsfraktionen etwas zurückhaltend, es müsse mindestens ein Minister da sein, außerdem werde man die Termine für die Minister festlegen.

Aus Sicht der Opposition wird der Befragung damit die wichtigste Funktion schon wieder entzogen. Linke, Grüne und Liberale halten es gleichermaßen für entscheidend, dass sie auf aktuelle Themen spontan und unabhängig reagieren und also stets auch das zuständige Kabinettsmitglied dazu befragen können. Sollte der Vorschlag der Koalition beschlossen werden, ist das unwahrscheinlich - und hängt alleine vom guten Willen des Kabinetts ab. Eine rechtliche Handhabe zum Herzitieren eines Ministers wird das Parlament nicht mehr haben.

Die "dringende Frage" soll es nicht mehr geben

Das ist aus Sicht der Opposition ein schmerzhafter Rückschritt. Bislang nämlich, so heißt es in der aktuell gültigen Geschäftsordnung, müssen es "Minister der Regierung" sein, die auf alle Fragen antworten. In einem Gutachten für die Grünen wird das als klare Verpflichtung eingeordnet. Angesichts dieser Regelung müsse die gesamte Regierung den Befragungen beiwohnen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die laxe Handhabung vor 2018 es den meisten Ministern gestattet habe, den Regierungsbefragungen fern zu bleiben.

Und nun? Soll das sozusagen formal und endgültig eingeschränkt werden. Und nicht nur das. Ganz nebenbei hat die Koalition auch noch eingeflochten, dass sie das Instrument der dringenden Frage abschaffen will. Ebendie aber hat bislang immer erlaubt, auf besonders aktuelle Fragen eine Antwort der Regierung einzufordern.

Trotz des neuen Zorns in den Reihen der Opposition ist es indes unwahrscheinlich, dass sich an der geplanten Neuregelung noch etwas ändert. Wie zu hören ist, haben die Oppositionsparteien einen Verbündeten, und der heißt Wolfgang Schäuble. Ob der Bundestagspräsident aber noch etwas ändern will und kann, blieb bis zuletzt offen. Als die Unionsfraktion am Dienstnachmittag über das Thema debattierte, war Schäuble nicht mehr da und konnte also auch nicht mehr intervenieren.

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