Regierung: Tag der offenen Tür:Nette Leute von nebenan

Wer ist der bessere Gastgeber? Kanzlerin Merkel und ihr Herausforderer Steinmeier mischen sich beim Tag der offenen Tür unter die Besucher.

J. Osel und M. König, Berlin

Wenn Volksnähe in Zentimetern gemessen werden kann, hat Angela Merkel (CDU) am Sonntag das Maximum erreicht. Die Distanz zwischen der Kanzlerin und den Besuchern im Bundeskanzleramt lag zwischenzeitlich bei null. Während das Sicherheitspersonal wohl nicht nur aufgrund der sommerlichen Temperaturen schwitzte, ließ sich die Kanzlerin umarmen, fotografieren und gab Autogramme.

Merkel, Tag der offenen Tür, Foto: dpa

Dicht umlagert: Angela Merkel im Kanzleramt.

(Foto: Foto: dpa)

Ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) schlüpfte währenddessen im Auswärtigen Amt in die Rolle des entspannten Gastgebers, der mit Deutschrock-Barde Peter Maffay und Regisseur Leander Haußmann über "20 Jahre Mauerfall" diskutierte.

"Politiker sind auch nur Menschen", hätte diese Veranstaltung heißen können, doch der offizielle Titel lautete Einladung zum Staatsbesuch oder auch Tag der offenen Tür.14 Ministerien sowie das Kanzleramt standen am Samstag und Sonntag in Berlin zur Besichtigung offen, etwa 160.000 Menschen nahmen die Gelegenheit wahr.

Die Veranstalter hatten sich einiges einfallen lassen: Milchverkostung im Landwirtschaftsministerium, Zollhunde beim Erschnüffeln von Diebesgut im Finanzministerium, Messungen von Handystrahlen im Umweltministerium oder persischer Hip-Hop im Entwicklungshilfeministerium.

Bloß keine Problemthemen ansprechen

Von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Klimakatastrophe oder Steuerversprechen war im Berliner Regierungsviertel ausnahmsweise kaum etwas zu hören. Wer am Wochenende nicht von Tagespolitik behelligt werden wollte, fand ausgerechnet hier die besten Bedingungen.

Selbst der Wahlkampf kam fünf Wochen vor der Bundestagswahl praktisch zum Erliegen. Fast zeitgleich empfingen Merkel und Steinmeier die Besucher an ihren Dienstsitzen - und überboten sich höchstens darin, wer den besseren Gastgeber abgibt.

Steinmeier plauderte im Auswärtigen Amt aus dem Nähkästchen: Als in Berlin die Mauer fiel, habe er gerade in den letzten Zügen seiner Doktorarbeit gesteckt. Eigentlich habe er einige Fußnoten überprüfen wollen - dann aber die Nacht vor dem Fernseher verbracht.

Vorteil für den Osten

Seinen Wahlkreis habe er mit Absicht in Brandenburg genommen, im Osten seien Wahlveranstaltungen ganz anders als in den alten Bundesländern: "Reden, klatschen, abgehen kann man da nicht machen. Im Osten herrscht eine andere Diskussionskultur, ein Hunger nach Informationen."

Der Kanzlerkandidat scherzte viel, er winkte den Zuschauern zu, als gäbe es in Deutschland keine Umfrage-Institute, die immer neue Horrorzahlen für ihn und die SPD vermelden. Zuletzt hieß es im ZDF-Politbarometer, 64 Prozent der Deutschen würden sich im Falle einer Direktwahl für Merkel entscheiden, lediglich 23 Prozent für Steinmeier. Ein Vorsprung historischen Ausmaßes - und die Kanzlerin bemühte sich am Sonntag, ihn nicht kleiner werden zu lassen.

Ihr Rundgang durch das Bundeskanzleramt hatte noch nicht einmal begonnen, da wandte sich Angela Merkel gestenreich an das Sicherheitspersonal: Der Abstand zu den Besuchern war ihr offenbar zu groß. Also ging die Kanzlerin dort, wo Absperrungen den Weg blockierten, nah an die Besucher heran, schüttelte viele Hände. Auf dem Fußweg in den Kanzlergarten ließ sich die Kanzlerin für Fotos gar umarmen, blieb immer wieder stehen.

"Volksnäher geht es nicht", sagte eine Frau, die eine Unterschrift der Kanzlerin ergattern konnte. Ihr Sohn blickte mit ungläubiger Miene auf das Display seines Fotohandys: Seine Mutter, Seit' an Seit' mit der mächtigsten Frau Deutschlands, "wenn das der Papa sieht!"

Im Garten auf einer Freiluftbühne angekommen, lässt sich Merkel eine einzige politische Aussage entlocken: Die umstrittenen Internetsperren gegen Kinderpornografie seien wichtig - egal, was "die Computergemeinde" dazu sagt. Im Web wächst seit Wochen der Protest gegen vermeintliche Zensur, auch im Kanzlergarten fanden sich schnell mehrere Besucher, die der Kanzlerin lautstark widersprachen. Merkel wehrte ab: "Solche Inhalte haben auf Internetseiten nichts zu suchen, deshalb dämmen wir das ein." Ein klares Basta der Kanzlerin in Schröder-Manier!

Viel lieber sprach die Kanzlerin aber über ihre Liebe zum Fußball. Und auch bei Steinmeier ging es um Sport - Berliner Kita-Kinder bekamen ein vom Kanzlerkandidaten signiertes Turngerät geschenkt.

Dann war der Tag der offenen Tür für beide beendet - und die untergehende Sonne verkündete, dass sie sich bald wieder mit Tagespolitik beschäftigen müssen.

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