Regierung - Stuttgart:Forstkammer: Der Wald ist eine "todkranke Patientin"

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Stuttgart (dpa/lsw) - Hier eine freie Fläche, dort eine abfallende Rinde, Flecken voller brauner und vertrockneter Bäume, und massenweise liegt das umgestürzte Holz herum. Sei es in Freudenstadt, in Waldshut oder auch in Donaueschingen - wenn Jerg Hilt den Wald inspiziert, werden seine Sorgenfalten immer tiefer. Als gelernter Förster hat er einen Blick für das, was nicht normal ist im Wald im Südwesten. "Und noch nie stand es um den Wald in Baden-Württemberg so schlecht wie derzeit - und der Sommer kommt erst noch", sagt Hilt, der auch die Geschäfte der baden-württembergischen Forstkammer führt.

Das derzeit oft grüne Aussehen täusche gewaltig, sagt er im Vorfeld von Gesprächen, die seine Interessenvertretung am Freitag mit dem Agrarministerium führen will. "Es ist vergleichbar mit einer gut geschminkten todkranken Patientin." Das laufende Jahr sei das dritte extrem trockene in Folge, auch die Sturmschäden zu Beginn des Jahres mit dem Orkan "Sabine", der Borkenkäfer und die Corona-Pandemie setzten den Wäldern zu. Bereits rund 43 Prozent der Bäume seien schwer geschädigt. Schon jetzt sei klar: Bei den Hilfen des Landes müsse dringend nachgesteuert werden.

Das sieht auch Forstminister Peter Hauk (CDU) so: "Neben den bereits bestehenden Fördermöglichkeiten prüfen wir derzeit die Einführung einer Klimawandelprämie", sagte er am Mittwoch am Rande eines Besuchs in Grafenhausen. Es sei wichtig, beschädigte oder bereits kahle Flächen wieder zu bewirtschaften. Während der bisherige Notfallplan des Landes nur bestimmte Aktionen im Wald finanziell unterstützt habe, solle sich die neue Prämie auf ganze Flächen beziehen.

Geplant sei eine Prämie in Höhe von 300 Euro pro Hektar und Jahr für eine Dauer von 30 Jahren. "In diesen Jahrzehnten wird der Wald zwar keine Ergebnisse abwerfen. Aber vor allem jüngere Bäume sind erhebliche Kohlenstoffspeicher, die wir dringend benötigen", sagte Hauk der Deutschen Presse-Agentur. Auch Kommunen sollten mit einem Zuschlag von fünf Euro zum bereits bestehenden sogenannten Gemeinwohlzuschlag in Höhe von zehn Euro motiviert werden. "Das sehen wir als adäquate Wertschätzung und auch als Anreiz für die Kommunen, damit sie nicht leer ausgehen."

Die Forstkammer lobt die Idee, sieht aber noch mehr Bedarf: Unter anderem müsse die angekündigte Hilfe bei den Aufarbeitungskosten vervierfacht werden. Holzlagerplätze außerhalb des Waldes müssten schneller und unkomplizierter genehmigt werden. Außerdem müsse die Politik sich einsetzen gegen den Borkenkäfer, der sich ungebremst ausbreite: "In Rheinland-Pfalz helfen Soldaten bei der Suche der Borkenkäferbäume", heißt es in einer Mitteilung des Waldbesitzer-Verbandes.

"Im Wald liegen schon rund zwei Millionen Festmeter Schadholz", sagt Hilt. Die Schadenskurve steige steiler und schneller als im vergangenen Jahr. Außerdem seien die Holzpreise abgestürzt. "Heute wird ein Kubikfestmeter nur noch für 20 Euro gehandelt. Es kostet aber schon 25 Euro, um ihn überhaupt zu schlagen und aus dem Wald zu bekommen." Der Grund für den Preisverfall: Wegen der Corona-Pandemie wird kaum Holz exportiert. Die Lager sind voll, die Nasslager auch. Die Holzabfuhr aus den Wäldern verzögert sich, das drückt die Rundholzpreise auf ein für viele ruinöses Niveau.

Auch die Arbeitsgemeinschaft Wald, ein Zusammenschluss forstlicher Verbände, mahnt zur Eile: "Zunehmend wird der Wald - der durch die Speicherung von Kohlenstoff eigentlich bei der Bekämpfung des Klimawandels unterstützen soll - selbst zum Opfer", sagte der AG-Vorsitzende Dietmar Hellmann. "Auf immer mehr Flächen weicht eine aktive Waldbewirtschaftung allein der Frage, wie der Wald erhalten werden kann." Der Wald sei vor allem im Hinblick auf den Klimaschutz ein Gradmesser für den Umgang der Gesellschaft mit ihrer Umwelt.

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