Süddeutsche Zeitung

Regierung nimmt McChrystal in Schutz:Wider die Unruhe

Das deutsche Verteidigungsministerium verteidigt den amerikanischen Afghanistan-Kommandeur - McChrystal sei nicht für Tod der deutschen Soldaten mitverantwortlich.

S. Höll

Das Bundesverteidigungsministerium ist Mutmaßungen entgegengetreten, das von US-General Stanley McCrystal geführte Oberkommando der internationalen Schutztruppe in Afghanistan (Isaf) sei indirekt mitverantwortlich für den Tod von vier Bundeswehrsoldaten in der vergangenen Woche in der Nähe von Kundus.

Aus dem Ministerium wurde zwar ein Bericht der Bild am Sonntag bestätigt, wonach der Kommandeur der nördlichen Isaf-Region, der deutsche Brigadegeneral Frank Leidenberger, Bedenken gegen den Zeitpunkt der laufenden Großoffensive afghanischer und internationaler Truppen gegen die Taliban gehegt und deshalb um eine Verschiebung dieses Einsatzes gebeten hatte.

Der General habe in einem Schreiben an das McCrystal unterstellte Joint Command in Kabul geltend gemacht, dass sich die deutschen Truppen gerade im Wechsel befänden, nicht optimal einsatzfähig seien und der Einsatz deshalb später beginnen solle, hieß es. Leidenberger habe kein Gehör gefunden.

Der Ministeriumsvertreter wies aber den Eindruck zurück, es habe sich dabei um eine Entscheidung von McCrystal gehandelt, der zu politischen Gesprächen in Berlin über die Zukunft des Afghanistan-Einsatzes erwartet wird.

Die Führung der afghanischen Truppen habe auf dem ursprünglichen Zeitpunkt bestanden, Leidenberger habe sich in dieser Frage nicht an den US-General gewandt. Im Verteidigungsministerium hieß es, die Weitergabe des Briefs sei ein Versuch, vor McCrystals Deutschland-Besuch Unruhe zu stiften.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold kündigte an, bei dem in Berlin geplanten Gespräch von Parlamentariern mit McCrystal diese Differenzen über den Zeitpunkt der Offensive zur Sprache zu bringen. "Das kann man nicht totschweigen.

Solche Bedenken des Brigadegenerals muss man ernst nehmen", sagte Arnold der Süddeutschen Zeitung. Auch müsse man über die Zuverlässigkeit der afghanischen Truppen reden. Es gehe nicht an, dass die Afghanen Truppenstärken für Einsätze versprächen, die sie dann nicht einhalten könnten und damit auch internationale Isaf-Soldaten gefährdeten, sagte Arnold mit Blick auf Berichte, wonach bei der Operation am Donnerstag nur einige Hundert afghanische Soldaten statt der zugesagten 1300 vor Ort gewesen seien.

Auch werde man mit McCrystal über das militärische Vorgehen reden, darunter die Rolle der Bundeswehr bei den sogenannten Partnerings, Einsätzen, in denen auch deutsche Militärausbilder mit afghanischen Soldaten in Einsätze ziehen.

McCrystal, der seinen Flug wegen der Aschewolke verschieben musste, wird frühestens am Montag in Berlin erwartet. Er möchte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sowie Außenminister Guido Westerwelle (FDP) treffen und führt auch Gespräche im Bundeskanzleramt. Ein Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel war nicht geplant. In allen Gesprächen dürfte es um zivile Aspekte des Afghanistan-Einsatzes gehen, auf den alle Verbündeten nun mehr Wert legen, aber auch um das militärische Vorgehen. Die USA hatten ihre Truppen zuletzt deutlich verstärkt, um Taliban-Einheiten zu vertreiben, den Afghanen dann Schritt für Schritt die Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übergeben und den Beginn eines Rückzugs der Isaf-Kräfte zu ermöglichen. Diese Strategie ist mit Risiken auch für die Bundeswehr verbunden.

Zweifel in der SPD wachsen

In der SPD wachsen inzwischen die Zweifel an dem Einsatz. Führende SPD-Politiker wie der Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Erwin Sellering, und Schleswig-Holsteins Landeschef Ralf Stegner forderten ein schnelles Ende des Einsatzes, verlangten aber keinen sofortigen Abzug.

Auch die Delegierten des SPD-Arbeitnehmerflügels verabschiedeten am Wochenende in Potsdam einen Beschluss zugunsten eines raschen Rückzuges. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, der Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner, sagte, es sei natürlich, dass mit den Todesfällen die Bedenken wüchsen. Noch gebe es keine Forderungen nach einer sofortigen Heimkehr der Soldaten, weil man Afghanistan nicht ins Chaos stürzen und die Bundeswehr dort nicht verunsichern wolle.

Die SPD-Bundestagsfraktion hatte im Februar die Verlängerung des Afghanistan-Mandats mit großer Mehrheit unterstützt. Schreiner, der sich bei diesem Votum enthalten hatte, sagte der SZ: "Wenn sich bis nächstes Jahr in Afghanistan nicht einiges verbessert hat, sehe ich nicht, woher die Mehrheit für eine neue Verlängerung des Mandats kommen soll."

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SZ vom 19.04.2010/woja
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