Regierung Letta in Italien:Zweite Wahl mit Potenzial

Premierminister Enrico Letta mit Amtsvorgänger Mario Monti

Italiens neuer Premierminister Enrico Letta (links) mit seinem Amtsvorgänger Mario Monti.

(Foto: dpa)

Leicht wird es nicht werden, wenn die Partei des italienischen Regierungschefs Letta zusammen mit Berlusconis Leuten regiert. Doch Letta hat es geschafft, die Kluft zwischen traditionell verfeindeten Lagern zu überwinden - seit 20 Jahren war das nicht möglich. Das Kabinett ist ein Experiment mit Potenzial.

Ein Kommentar von Andrea Bachstein, Rom

Man sollte es wirklich nicht als böses Omen interpretieren, dass vor dem Sitz der Regierung in Rom Schüsse fielen genau in dem Moment, als die neuen Minister ihre Amtseide ablegten. Nicht nur, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte, sondern weil diese unter großen Schmerzen geborene Regierung die Chance hat, der italienischen Politik eine glückliche Wendung zu verpassen. "Es ist die einzige Regierung, die möglich ist", hat Staatspräsident Giorgio Napolitano über sie gesagt, und es ist kein Geheimnis, dass er kräftig mitberaten hat bei der Auswahl der 23 Kabinettsmitglieder.

Enrico Letta, der neue Regierungschef, war zweite Wahl. Ein Vorteil, denn er ist trotz langer Erfahrung keiner der Politiker, die sich immer in erster Front geschlagen haben und deshalb zu sehr für die alte politische Klasse stehen. Er war so klug, niemanden aus dieser Klasse in sein Kabinett aufzunehmen. Sowohl Lettas PD wie Silvio Berlusconi mit seiner PDL haben darauf verzichtet, ihre Hardliner zu entsenden. So entstand eine Regierung, die Altes und Neues verbindet, und so den Übergang halbwegs sanft in Gang setzen kann.

Wichtig ist, dass die neuen Minister mehrheitlich den dringend nötigen Generationswechsel verkörpern, und dass in diesem Kabinett mehr Frauen denn je sitzen, darunter eine gebürtige Afrikanerin.

Neueinsteiger aus den Parteien, ein paar altgediente Politiker, parteilose Fachleute - Letta erfüllt mit seiner Kabinettsliste Wünsche der eigenen Wähler und Forderungen aus dem Protestwahlpotenzial der Bewegung 5 Sterne von Beppe Grillo. So entstand nicht nur eine große Koalition, sondern eine Mehrparteien-Regierung, zu der auch Mitglieder von Mario Montis Bürgerliste gehören, Vertreter der kleinen christdemokratischen UDC und der ebenfalls winzigen Radikalen Partei. Dass niemand von den 5 Sternen dabei ist, haben die sich mit ihrer Verweigerungshaltung selbst zuzuschreiben.

Interessenkonflikte der Koalitionäre

So konnte Letta die Kluft zwischen den traditionell verfeindeten Lagern von Mitte-Rechts und Mitte-Links überwinden - das war seit 20 Jahren nicht möglich. Wenn Lettas Regierung auf diese Weise zur Versöhnung der politischen Lager, zur Versachlichung im Umgang beiträgt, wäre enorm viel gewonnen.

Lettas PD und Berlusconis PDL müssen für diese Regierung direkte oder indirekte Versprechen brechen, die sie ihren Wählern gemacht hatten. Dass die PD mit Berlusconi zusammenarbeitet, kostet sie schon jetzt viele Anhänger. Berlusconis Leute haben umgekehrt weniger ein Problem mit der Annäherung, denn die neue Koalition hat die Partei ja zurück an die längst verloren geglaubte Macht gebracht. Dass Berlusconi nun doch wieder mitreden kann, ist gewiss das am wenigsten erfreuliche Ergebnis der Entwicklung, aber die Alternative war klar: keine Regierung und bald wieder Neuwahlen.

Wie lange Lettas Exekutive Bestand haben wird, lässt sich angesichts der unberechenbaren italienischen Politik nicht voraussagen. Von ein paar Monaten bis zu ein paar Jahren scheint alles möglich zu sein. Eine leichte Zeit wird es nicht werden, von der PDL sind Erpressungsversuche und Komplikationen zu erwarten, vor allem da, wo Silvio Berlusconis Interessen berührt sind - gerade, wenn es um die Einführung einer Vermögenssteuer geht oder ein neues Anti-Korruptionsgesetz.

Außerdem ist Letta vor Verrätern in der eigenen Partei nicht sicher. Seine politische Lebensdauer wird davon abhängen, wie schnell und wie konstruktiv dieses Experimental-Kabinett Ergebnisse abliefert. Es geht um die Lage der Wirtschaft, und es geht um ein Reformkleid für den zerrupften Staat, das schnell geschneidert werden muss. Potenzial dazu hätten Lettas Leute, und Italien wartet verzweifelt darauf.

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