Regierung in Ungarn:Pässe gegen Wählerstimmen

European Council summit

Der ungarische Premier Viktor Orbán kämpft um Wählerstimmen.

(Foto: dpa)

Ungarns rechte Regierung vergibt vor der Parlamentswahl großzügig Pässe ins Ausland - auch an ungarnstämmige Menschen außerhalb der EU. Ein ähnliches Modell hatte Rumänien vor Jahren Ärger mit Brüssel eingebracht. Doch Premier Viktor Orbán hofft auf ein politisches Geschäft.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die jüngsten Zahlen aus Budapest dürften nur der Anfang einer großen Bewegung sein: Etwa 50.000 ethnische Ungarn, die außerhalb des Landes leben, haben sich registrieren lassen, um bei der Parlamentswahl im April 2014 mitzuwählen - und es könnten Hunderttausende mehr werden. Bereits mehr als eine halbe Million Menschen haben nach Regierungsangaben die ungarische Staatsbürgerschaft beantragt, seit 2011 das Gesetz zur vereinfachten Einbürgerung in Kraft trat. Ungarn hat zehn Millionen Einwohner.

330.000 der Anträge kommen allein aus Rumänien, wo mehr als eine Million sogenannte Auslandsungarn leben, 92.000 aus Serbien, 64.000 aus der Ukraine, nur 1700 aus der Slowakei. Der mutmaßliche Grund dafür: Die slowakische Regierung hatte unter scharfem Protest gegen den Vorstoß der Nachbarn Bürgern, die einen ungarischen Pass bekommen hatten, die slowakische Staatsbürgerschaft aberkannt.

Der Boom der Pass-Anträge aus Serbien wiederum dürfte auch die EU interessieren. Denn Serbien ist bekanntlich noch nicht in der EU. Die BBC hat unlängst unter dem Titel "Ungarn erschafft massenhaft neue EU-Bürger" aus der Wojwodina berichtet, wo Tausende vor den Konsulaten Schlange stehen. Mit dem Pass aus Budapest, so die BBC, würden Einreise und Arbeitsaufnahme in die EU stark erleichtert. Ein ähnliches Modell in Rumänien, das Zehntausenden Moldawiern rumänischer Abstammung Pässe ausstellte, hatte vor Jahren für Ärger in Brüssel gesorgt.

Ein erbitterter Kampf

In Ungarn selbst geht es bei alledem - vor allem - um Wählerstimmen. Der erbitterte Kampf zwischen den politischen Lagern hat die umliegenden Staaten erfasst, die vor dem Trianonvertrag von 1920 zu Groß-Ungarn gehörten. Bis zu fünf Prozent Wahlberechtigte könnten diese Neu-Ungarn ausmachen - angesichts der Tatsache, dass die Regierungspartei Fidesz ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament zu verteidigen gedenkt, eine durchaus gewichtige Masse.

Premier Viktor Orbán hat die ungarische Diaspora schon aufgefordert, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Sein Land, so Orbán bei einem Treffen mit dem Diaspora-Rat am vergangenen Mittwoch, biete eine Antwort auf die Krise der westlichen Zivilisation.

Und dann machte er schon mal Wahlwerbung: Die Regierung habe ein einzigartiges sozio-ökonomisches System entwickelt, das auf der ungarischen Denkungsart basiere. Wer sich, so die unausgesprochene Botschaft, als echter Ungar fühle, komme wohl nicht umhin, der Regierung dafür bei der Parlamentswahl den entsprechenden Beifall zu zollen.

Anspruch auf einen Pass - und damit auf das aktive Wahlrecht - hat im Übrigen jeder, der einen ungarischen Vorfahren und ungarische Sprachkenntnisse vorweisen kann, nicht vorbestraft ist und die öffentliche Sicherheit nicht bedroht.

Orbán setzt auf eine historisierende Ideologie

Das sei, beeilt man sich in Budapest zu betonen, ein in Europa durchaus übliches Verfahren: Jeder Staat sei berechtigt, "selbst darüber zu entscheiden, wen er in die Reihen seiner Staatsbürger aufnimmt, deshalb verstößt die Gesetzesänderung nicht gegen die Regelungen des internationalen Rechts". Tatsächlich ist das Prozedere in der EU nicht ungewöhnlich; auch andere Staaten erlauben Doppelpässe und werben aktiv um Neubürger.

Die linke Opposition ist trotzdem stark irritiert. Sie kritisiert, dass die Regierung Steuermittel in Auslandsorganisationen stecke, weil eine Mehrheit der Neu-Bürger zum Dank Fidesz wählen dürfte. Sozialisten und die Oppositionsbewegung "Gemeinsam 2014" umwerben die Diaspora zwar ebenso; die Sozialisten haben sich unlängst sogar dafür entschuldigt, vor knapp zehn Jahren bei einer Volksabstimmung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft votiert zu haben.

Gleichwohl hat man zuletzt verkündet, sich nun auch verstärkt um jene Menschen bemühen zu wollen, die das Land aus Unzufriedenheit oder Protest gegen die rechtsnationale Regierung zu verlassen planen. Gordon Bajnai, Spitzenkandidat für Gemeinsam 2014, sagte der Süddeutschen Zeitung, die Bemühungen der linken Opposition, jetzt verstärkt auswanderungswillige Ungarn anzusprechen, sei keine "Gegenreaktion".

Bestes Beispiel: Szeklerland in Siebenbürgen

Hier gehe es um bis zu fünf Prozent der Bevölkerung, um Steuerzahler, um Leistungsträger. Für sie habe man eine klare Botschaft: "Wählt das Orbán-Regime ab, damit ihr eine bessere Zukunft habt." Bajnai hält die doppelte Staatsbürgerschaft wie auch das damit verbundene Wahlrecht zwar für eine legitime Einrichtung. Allerdings sei das Wahlgesetz von der Regierung Orbán grundsätzlich so verändert worden, dass es Fidesz den Griff nach der Macht erleichtere.

Während also die Linke auf frustrierte Landsleute setzt, sprechen Orbán und seine Partei ihre Klientel mit einer historisierenden Ideologie an: Das Karpatenbecken sei altes Siedlungsgebiet der Magyaren, die Interessen seiner Bewohner seien auch heute zu schützen. Die kürzliche Erhebung der "einheitlichen ungarischen Nation" in den Verfassungsrang gilt den Rechtsnationalen als kleine Wiedergutmachung für Trianon.

Bestes Beispiel: das sogenannte Szeklerland, ein verarmter Landstrich in Siebenbürgen. Hier leben ungarnstämmige Rumänen, Szekler, die politische Autonomie anstreben. Vor zwei Wochen hatte eine Menschenkette einmal mehr die Selbstverwaltung innerhalb Rumäniens gefordert. László Tökés, EU-Abgeordneter und Chef des Ungarischen Nationalrats Siebenbürgens, fordert Orbán regelmäßig auf, Siebenbürgen zum "Protektorat" zu machen.

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