Süddeutsche Zeitung

Regierung in der Ukraine:Staatsumbau - Jazenjuk soll es richten

Sparpakete, neue Steuern und Korruptionsbekämpfung: Die ukrainische Regierung von Arsenij Jazenjuk bemüht sich um Reformen. Sein "Aktionsplan" enthält auch etwas, das im Westen als Drohung verstanden wird.

Von Cathrin Kahlweit

Arsenij Jazenjuk mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Der Premierminister der Ukraine ist dauerpräsent in ukrainischen Medien und verkauft sich nicht nur daheim gut, sondern kommt - mit seinem fließenden Englisch und seiner bisweilen etwas pathetischen Diktion - auch im Westen an. Trotzdem kämpft er ums politische Überleben. Und mit ihm nicht nur seine Regierung, sondern das ganze Land.

Denn der Druck wächst. Die EU stellt Bedingungen für weitere, dringend benötigte Finanzhilfen: endlich tief greifende, sichtbare Reformen. Und immer mehr Ukrainer finden, ihr Land entwickele sich in die falsche Richtung. Sie fordern: tief greifende, sichtbare Reformen. Weil sie aber nun mal diese Regierung - und damit Jazenjuk - im Oktober gewählt haben, sind die jüngsten Meinungsumfragen in sich scheinbar gespalten: das Vertrauen in die Zukunft sinkt, aber das Zutrauen zu Premier und Präsident ist gleich geblieben. Sie sollen es richten. Und zwar schnell.

Also bittet Jazenjuk in Brüssel um Verständnis, dass die Krise ja auch wegen der "russischen Aggression" so groß sei und dass man immerhin schon eine Reihe von Schritten zur Stabilisierung des Landes unternommen habe: zwei Sparpakete, Abbau der Sozialausgaben, die um zehn Prozent verringerte Zahl von Stellen beim Staat, um den Haushalt zu entlasten. Man habe neue Steuern eingeführt und die Bürokratie weiter abgebaut, ein Lustrationsgesetz beschlossen und die Korruptionsbekämpfung verstärkt.

Währung hat 40 Prozent an Wert verloren

Nur, er weiß selbst, das reicht nicht. Experten rechnen damit, dass das Wirtschaftswachstum 2015 um mindestens sieben Prozent einbricht, und schon 2014 hat die Ukraine 20 Prozent weniger Einnahmen gehabt als im Vorjahr - wegen der Produktionsausfälle im Osten. Die Industrieproduktion ist um zehn Prozent gefallen, der Wert der Grywna um 40 Prozent.

Die Regierung, die nach mehr als vierwöchigen Koalitionsverhandlungen schließlich im November in Kiew vorgestellt worden war, hat sich einiges vorgenommen. Obwohl es hinter den Kulissen einen gewaltigen Machtkampf zwischen der - nach Sitzen - siegreichen Partei von Präsident Petro Poroschenko und der neuen, sehr starken Partei von Premier Jazenjuk gegeben hatte, einigte man sich schließlich auf eine Fünferkoalition und eine Geste nach außen: Ins Kabinett wurden auch drei Ausländer berufen (ein Litauer, ein Georgier und eine US-Amerikanerin), die umgehend eingebürgert wurden und nun dazu beitragen sollen, dass die neue Regierung weniger korrupt ist als die alte.

Machtkämpfe gab es auch mit den Oligarchen, die bisher die ukrainische Politik weitgehend kaufen konnten und sich nun entscheiden mussten, ob sie den auf mehr Liberalisierung und Transparenz abzielenden Kurs mitgehen wollen. Die Politikwissenschaftlerin Inna Melnykowa, die sich in einer aktuellen Analyse angeschaut hat, wie "das eherne Gesetz der Oligarchen gebrochen" werden kann, kommt zu dem Schluss, diese hätten sich erst einmal um "Kapitalsicherung" bemüht, durchaus auch in stiller Kooperation mit der russischen Seite. Sie stellten sich aber nicht gegen die Westorientierung.

Die notorisch korrupte Polizei soll grundsätzlich reformiert werden

Das Koalitionsprogramm und der "Aktionsplan" der Regierung Jazenjuk enthalten neben vielen innenpolitischen Absichtserklärungen auch eine Aussage, die im Westen durchaus als Drohung verstanden wird: die Abkehr von der Bündnisfreiheit und die Absicht, Nato-Mitglied zu werden. Bei seinem Staatsbesuch in Polen hat dies Poroschenko jetzt auch noch einmal explizit betont.

Was die tief greifenden und sichtbaren Reformen angeht, so kommt die Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen zu dem Schluss, dass das Lager der Pragmatiker "Zulauf erhält". Eine Verfassungsreform hin zu einer parlamentarischen Demokratie mit einer klaren Trennung der Kompetenzen von Präsident und Premier wird angestrebt, einen konkreten Zeitplan gibt es aber nicht. Vor der Wahl versprochen, aber nicht gehalten wurde, Abgeordneten, Richtern und Staatsanwälten bei grobem Fehlverhalten die Immunität entziehen zu können und ein Gesetz zur Amtsenthebung des Präsidenten zu entwickeln (das während des Maidan-Aufstandes schmerzlich vermisst worden war).

Die notorisch korrupte Polizei soll grundsätzlich reformiert werden, mit persönlichen Dienstmarken und einer Abschaffung der übel beleumundeten Straßenpolizei - aber auch hierfür wurde keine Frist gesetzt. Die Justizreform ist in Grundzügen angedacht, aber eine transparente Richterwahl ist nicht vorgesehen; Richter sollen aber ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen, um ihre Unabhängigkeit überprüfen zu können. Unabhängige Kandidaten aus der Maidan-Bewegung hatten dringend eine Wahlrechtsreform gefordert; nun soll für Kommunal- und Parlamentswahlen das Verhältniswahlrecht eingeführt werden.

Wirtschaftsreformen sind ein Kernstück des Regierungsprogramms, vor allem Korruptionsbekämpfung, der Abbau von Subventionen, höhere Energiepreise und die Privatisierung der Kohleindustrie. Allerdings gelten sowohl die Antikorruptionsgesetze wie auch die Lustration, mit der die politische Vergangenheit von Staatsangestellten überprüft wird, als äußerst halbherzig. Obwohl die Lustration seit Monaten läuft, hat sich wenig getan. Erst 350 Staatsangestellte wurden entlassen, Parlamentarier werden grundsätzlich geschont.

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SZ vom 19.12.2014/mane
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