Süddeutsche Zeitung

Wahl zum Abgeordnetenhaus:Komplexe Beziehungskiste in Berlin

Rot-Grün-Rot könnte in der Hauptstadt weiterregieren. Doch die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hadert mit der Linken und will auch mit der FDP als drittem Partner sondieren.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Zwei Tage nachdem sich im Bund recht deutlich abzeichnet, wer mit wem über eine mögliche Regierung reden will, gehen auch in der Berliner Landespolitik die Gespräche in die nächste Runde. So jedenfalls war es von SPD und Grünen angekündigt. Doch die SPD mochte offenbar noch keine endgültige Entscheidung treffen. Deshalb werden SPD und Grüne nun sowohl mit der FDP als auch mit der Linken als möglichen Partner weitersprechen. Sie sei "erstaunt, dass jetzt gleichzeitig zwei Koalitionsoptionen weiter sondiert werden sollen", sagte Linken-Chefin Katja Schubert.

Die Treffen am Montag und Dienstag dienen immer noch dem gegenseitigen Abtasten, offizielle Koalitionsgespräche sollen erst nach den Berliner Herbstferien in zwei Wochen aufgenommen werden. Franziska Giffey, die designierte Regierende Bürgermeisterin, will, dass der nächste Senat spätestens bis zu den Weihnachtsferien arbeitsfähig ist. Ob dieser Zeitplan angesichts der Nicht-Entscheidung vom Freitagabend zu halten sein wird, ist fraglich.

Die SPD war bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus mit 21,4 Prozent der Stimmen stärkste Partei geworden, dicht gefolgt von Grünen (18,9), CDU (18,1) und der Linken, die einige Zustimmung einbüßte und auf 14 Prozent kam. In einer Art Speedating hatten sich die Parteien mit Ausnahme der AfD (8,0) in vergangene Woche bereits in allen denkbaren Zweierkombinationen getroffen. Denn anders als im Bund sind in Berlin eine ganze Reihe von Koalitionen denkbar, zumindest rein rechnerisch. Die SPD präsentierte sich zwar als Gastgeberin der ersten Gespräche, aber sehr bald trafen sich auch die CDU mit den Grünen und die FDP (7,2) mit der CDU.

Giffey hadert mit der Linken

Giffey wurde nachgesagt, dass sie sich auch ein Bündnis mit CDU und FDP, eine so genannte Deutschlandkoalition, vorstellen könnte. Offenbar sieht sie die CDU nun nicht mehr als Regierungspartner, am Freitag sagte sie auch, sie würde eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP bevorzugen. Kai Wegner, Landeschef der CDU, sagte dazu: "Wir werden das Stell-Dich-ein von FDP und Linke in der kommenden Woche genau beobachten. Berlin braucht einen echten Neustart. Für diesen stehen wir weiterhin bereit."

Zugleich hatte die ehemalige Bundesfamilienministerin immer deutlich gemacht, dass sie mit der Linken hadert. Hinzu kommt, dass das zentrale Projekt der linken Stadtgesellschaft in Berlin, das Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungsbauunternehmen, am Wahltag eine Mehrheit bekommen hat. Giffey hatte stets betont, mit ihr als Regierender Bürgermeisterin werde es keine Enteignungen geben.

Auf der anderen Seite hatte sich die Spitzenkandidatin der Grünen Bettina Jarasch im Wahlkampf darauf festgelegt, die bisherige Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken fortsetzen zu wollen. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Grünen und FDP extrem angespannt. Anders als im Bund sah es bis Mitte vergangener Woche so aus, als seien die Differenzen zwischen beiden Parteien nicht zu überbrücken. Wenige Tage vor der Wahl hatte die FDP noch einmal formuliert, was für die Partei Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung wäre. Darunter fand sich auch der Punkt, dass mehrere Regelungen zum Schutz von Mietern entschärft werden müssten.

Dies können die Grünen, zu deren Politik der Mieterschutz elementar gehört, nicht mittragen. Christoph Meyer, FDP-Chef in Berlin, beschreibt die Grünen als "eher links und ideologiegetrieben". Zugleich agitierten die Liberalen gegen Pop-Up-Radwege und die Verkehrswende wie sonst nur die AfD. Selbst nach dem letzten, etwas versöhnlicheren Gespräch, kommentierte Grünen-Spitzenkandidatin Jarasch: Bis zu einer Zusammenarbeit mit der FDP seien es "natürlich schon weite Wege".

So hat Berlin gerade eine recht komplexe Beziehungskiste zu lösen. SPD und Grüne wollen gemeinsam eine Regierung bilden, aber mit wem noch? "Leider haben wir uns mit der SPD noch nicht über unseren dritten Partner einigen können", sagte Bettina Jarasch und fügte hinzu: "Unsere Präferenz ist bekannt." Vor allem gehe es aber darum, "den Klimaschutz, die Verkehrswende und eine faire Mietenpolitik für die Stadt voranzutreiben". Jarasch tritt auch deshalb so selbstbewusst gegenüber Giffey auf, weil sie das beste Ergebnis für die Grünen in Berlin überhaupt geholt hat.

Wie Giffey und Jarasch miteinander klarkommen

So wird das Gelingen einer Koalition mit SPD und Grünen als Partner sehr davon abhängen, wie die beiden starken Frauen dieses Bündnisses zusammenarbeiten. Bis zu den Sondierungsgesprächen kannten sich Giffey und Jarasch nur von Wahlkampfauftritten, abgesehen von einem gemeinsamen Kaffee gab es keinen persönlichen Kontakt. Giffey wäre als Regierende Bürgermeisterin in einem Linksbündnis klar die Chefin, aber die Grünen haben mit Bettina Jarasch ihr bestes Ergebnis in der Stadt bisher bekommen.

Am Tag nach der Wahl, als Jarasch der Gegenspielerin zum Sieg gratulieren wollte, habe Giffey sie mit dem Kommentar weggedrückt, "Sitze in Parteigremien, melde mich später", berichtete die Boulevardzeitung BZ. Am Nachmittag desselben Tages erklärte Jarasch dann auf Nachfrage, dass der Wahlkampf bei ihr keine Spuren hinterlassen habe. "Ich hoffe, das dies auch für Frau Giffey gilt."

Allzu groß können die Spuren tatsächlich nicht sein. Zwar beklagte sich Jarasch mehrfach darüber, dass Giffey rote Linien für Koalitionsverhandlungen gezogen habe: "Das halte ich für schlechten Stil". Giffey betonte ihrerseits immer mal wieder, "Berlin ist nicht Bullerbü" und spielte damit auf eine Vision der Stadtplanung von Jarasch an. Persönlicher aber wurde es im Wahlkampf nicht; selbst zu den Plagiaten in der Doktorarbeit der SPD-Spitzenkandidatin gab es von den Grünen kein Wort.

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