Regieren in der Finanzkrise:Politik der Unermesslichkeit
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Mit dem 500-Milliarden-Hilfspaket gewährt sich die Bundesregierung einen gewaltigen Vorschuss - materiell und politisch. Wenn es ihr jetzt nicht gelingt, den Finanzsektor zu retten, steht auch die Politik vor einem Desaster.
Nico Fried, Berlin
Es ist ein Plan, wie es so noch keinen gab. Ein Vorhaben, dessen finanzielle Dimension rund das Doppelte des Bundeshaushalts umfasst. Ein Hilfspaket, dessen Zahlen unvorstellbar sind: 500 Milliarden Euro will die Bundesregierung im äußersten Falle ins vertrocknete Finanzsystem pumpen. Die Rettung der Banken geschehe, um die Wirtschaft zu stützen und die Bürger zu schützen, heißt es. Mit dieser Operation stößt die Politik in Deutschland endgültig so in die Dimension der Unermesslichkeit vor wie die Krise selbst.
Die Bundesregierung gewährt sich dafür einen gewaltigen Vorschuss - in doppelter Hinsicht: materiell sowieso, indem sie Geld bereithält, das sie eigentlich nicht hat. Not macht erfinderisch, heißt eine alte Weisheit. Daran kann kein Zweifel mehr bestehen, wenn eine CDU-Kanzlerin nun die Teilverstaatlichung von Großbanken erwägt.
Dass Not nicht auch verschwenderisch macht, muss die Regierung erst noch beweisen. Deshalb ist der politische Vorschuss mindestens ebenso groß. Binnen weniger Tage und Nächte haben Angela Merkel, Peer Steinbrück und ihre Experten ein Programm entworfen, das nun binnen weniger Tage und Nächte Gesetz werden soll. Die Zeit, um das Für und Wider zu klären, steht im umgekehrten Verhältnis zum schwindelerregenden Umfang des Vorhabens.
Viel ist dieser Tage von Vertrauen die Rede. Auf den Finanzmärkten hat die Krise das Vertrauen ausgelöscht. Aber gibt es dieses Vertrauen noch in die Politik? Die Regierung tut einfach so. Was bleibt ihr übrig? Sie ist die letzte Instanz. Angela Merkel und Peer Steinbrück können sich über das große Konzept und die kleinen Details den Mund fusslig reden.
Ihr wichtigstes Argument wird nicht das Programm selbst sein, sondern dessen behauptete Alternativlosigkeit. Man muss nicht gleich den historisch waghalsigen Vergleich zu einer Politik der Notverordnungen ziehen, aber Tatsache ist, dass die Not eine bestimmte Politik verordnet. Das Risiko des Zweifels oder gar des Widerspruchs kann nur auf sich nehmen, wer einen anderen Weg weisen könnte. Das aber kann - niemand.
Dieses Vertrauen nimmt eine Regierung in Anspruch, der man einserseits vorwerfen kann, sie habe die Krise unterschätzt und zu lange kleingeredet - oder andererseits zugutehalten muss, dass sie von der Wucht des Kollapses schlicht überwältigt wurde. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen.
Noch vor wenigen Wochen übten sich Kanzlerin und Finanzminister in verhaltenem Optimismus. Zur Begründung wurde angeführt, dass man eine Krise durch Panikmache nicht befeuern sollte. Die Vorsicht hat nichts genützt, die Prophezeiung hat sich selbst erfüllt. Lange Zeit lief die Politik hinterher, versuchte zu kitten, was schon zerbrochen war - jetzt versucht sie, die Probleme zu überholen, schon da zu sein, bevor weiterer Schaden entsteht.
Lesen Sie auf Seite zwei, wie die Politik ihr Handeln legitimieren kann.
Merkel und Steinbrück gehen dabei noch einmal weit über einen Punkt hinaus, bei dem man dachte, sie seien am Anschlag. Schon bei der 35-Milliarden-Bürgschaft für die Hypo Real Estate blieb einem der Mund offen stehen. Jetzt wird der Betrag mal eben für alle wichtigen Banken zusammen mehr als verzehnfacht. Und neben dieser Bürgschaft garantiert der Staat ja auch noch die Spareinlagen der Bürger, Pi mal Daumen eine Billion Euro. Die Inflationsrate politischer Hilfe steigt ins Unermeßliche.
Die einzige Möglichkeit, mit der die Regierung ihr Handeln einstweilen legitimieren kann, besteht darin, den zu Rettenden einen angemessenen Preis für ihre Rettung abzuverlangen. Jeder Euro, der an Direkthilfe in eine Bank fließt, muss mit politischem Einfluss gegenfinanziert sein. Jede Bürgschaft, die fällig wird, muss an die Bedingung geknüpft sein, dass sie sobald wie möglich zurückgezahlt wird. Jedes Kontrollinstrument, das jetzt beschlossen wird, muss vor allem sicherstellen, dass Banken und Banker aus der Großzügigkeit der Politik nicht auch noch Profit schlagen.
Defizit an Glaubwürdigkeit
Man wird misstrauisch, wenn man weiß, dass Finanzbosse mit am Tisch saßen, als das Rettungspaket verhandelt wurde; dass dieselbe Expertise gefragt war, die den Zusammenbruch nicht verhindern konnte. Finanzminister Steinbrück warnt nun davor, alle Banker über einen Kamm zu scheren, er habe viele von ihnen zuletzt sehr verantwortungsbewusst erlebt. Kein Wunder. Reue ist die kleine Schwester der Not. Aber wer garantiert, dass Größenwahn nicht wieder zum großen Bruder wird, wenn sich das System erholt?
Krisenmanagement und eine langfristige Neuregelung der Finanzmärkte hat Angela Merkel angekündigt. Die dritte wichtige Aufgabe hat sie bislang nur angedeutet: Die Regierung muss das große Geben auch bei denen legitimieren, die zuletzt das Nehmen wahrgenommen haben, ob zu Recht oder zu Unrecht. Es gibt viele Arbeitslose, Rentner und Pendler, die den Staat, der jetzt so viel leistet, vor allem als den Staat erleben, der ihnen Leistungen vorenthält. Fehlende Liquidität bereitzustellen ist das eine. Ein Defizit an Glaubwürdigkeit wäre noch viel schwerer aufzufüllen. Die Regierung muss den Finanzsektor retten und den Vertrauensvorschuss einlösen, den sie sich nimmt. Ansonsten steht auch die Politik vor einem Desaster.