Reformversprechen:Der Zorn der Ukrainer wächst

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Hunderte Ukrainer haben am Ostermontag in Kiew gegen Präsident Petro Poroschenko und den Stillstand in der Politik protestiert. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

Viel hat Präsident Petro Poroschenko den Ukrainern versprochen, wenig gehalten. Die Korruption blüht, die Oligarchen bestimmen.

Von Florian Hassel, Kiew

In eineinhalb Jahren im ukrainischen Parlament hat Mustafa Nayyem, Abgeordneter im Wahlblock von Präsident Petro Poroschenko, viele Diskussionen über den Kampf gegen die Korruption miterlebt.

"Wenn wir in der Fraktion mit dem Präsidenten reden, hört sich alles gut an", sagt Nayyem. "Tatsächlich aber ist gar nichts gut." Und deshalb steht Nayyem, der in Kabul geboren und in Kiew aufgewachsen ist, an diesem Montag mit Hunderten anderen Ukrainern vor Poroschenkos Amtssitz und protestiert gegen den Stillstand in der ukrainischen Politik.

Nayyem ist eine markante Erscheinung wegen seines kahl geschorenen Kopfes und seiner stets schwarzen Kleidung, und eine Symbolfigur. Am 21. November 2013 rief er auf Facebook zum Protest gegen Präsident Viktor Janukowitsch auf. Es war der Beginn des Protestes auf dem Maidan und der Anfang vom Ende für den korrupten und zunehmend autoritär regierenden Präsidenten. Nach Janukowitschs Flucht nach Russland wurde der Politiker und Milliardär Petro Poroschenko im Mai 2014 neuer Präsident und Nayyem Abgeordneter.

Der Generalstaatsanwalt ist unabhängig, allerdings nur auf dem Papier

Trotz Poroschenkos Reformversprechen ist die Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft sowie der Oligarchen, die Medien, Parteien und Wirtschaft kontrollieren, nicht wirklich vorangekommen. Das ist kein Wunder, denn auch der Präsident ist Oligarch.

Zur Demonstration vor Poroschenkos Amtssitz ist auch der Militärkaplan Olexander Mischura gekommen. "Bevor er vor zwei Jahren gewählt wurde, versprach uns Poroschenko lautstark, er werde etwa sein Roshen-Schokoladen-Imperium verkaufen. Ich habe nichts davon gehört, dass er es tatsächlich getan hat", sagt Mischura. Überall in der Ukraine eröffnen neue Roshen-Geschäfte. Der Kaplan besucht in der Ostukraine regelmäßig die Soldaten. "Die Jungs halten für eine bessere Ukraine ihre Knochen hin. Jedes Mal, wenn sie hören, dass in Kiew nichts vorangeht, sind sie enttäuschter."

Parlamentarier Nayyem erlebt es so: "Wir reden seit zwei Jahren über den Kampf gegen die Korruption und über die Notwendigkeit einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft. Passiert ist nichts." Der Generalstaatsanwalt, Herr über 18 000 Mitarbeiter, ist unabhängig und Schaltstelle der Korruptionsbekämpfung. Allerdings nur auf dem Papier. "Nachdem Poroschenko Präsident geworden ist, haben wir von ihm und den beiden von ihm eingesetzten Generalstaatsanwälten schöne Worte gehört - aber keine Taten gesehen. Oder die falschen", sagt Nayyem.

"Oligarchen und Kleptokraten" schlagen "mit Macht zurück"

"Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin hat zwei Jahre nach dem Maidan nicht ein korruptes Mitglied des Janukowitsch-Regimes vor Gericht gebracht. Stattdessen ermittelt der Generalstaatsanwalt gegen eine ihn kritisierende Anti-Korruption-Bürgergruppe. Schokin blockiert die Aufhebung der Immunität mutmaßlich korrupter Parlamentarier. Staatsanwälte, die effektiv wegen Korruption ermitteln, werden kaltgestellt oder entlassen."

Das sieht nicht nur Parlamentarier Nayyem so. Oleg Prochorenko wurde als Reformer angeheuert, um als Chef beim staatlichen Erdgasunternehmen aufzuräumen. Jetzt beschrieb er in der Kyiv Post, wie oligarchenhörige Parlamentarier, Finanzbehörden, Inlandsgeheimdienst und Generalstaatsanwalt systematisch seine Versuche bekämpfen, korrupte Geschäftspraktiken zu beenden, die den Steuerzahler Millionen Euro kosten.

Die amerikanische Vize-Außenministerin Victoria Nuland stellte im US-Kongress fest, die "Oligarchen und Kleptokraten", die die Ukraine seit Jahrzehnten kontrollierten, schlügen nun "mit Macht zurück". Auch die US-Diplomatin forderte "einen neuen, sauberen Generalstaatsanwalt zu ernennen".

Politische Finten

Wiktor Schokin, Poroschenkos umstrittener Gefolgsmann, schien eigentlich schon abgelöst zu sein als Generalstaatsanwalt. Nach massivem Druck tat Präsident Poroschenko öffentlich so, als fordere er Schokin zum Rücktritt auf. Am 16. Februar gab der Generalstaatsanwalt scheinbar nach und ging angeblich in Urlaub. Doch Mitte März war er dann wieder da und ließ verkünden, das Parlament habe gar nicht genug Stimmen, um ihn offiziell abzusetzen. Nun hat das Parlament mehrheitlich gegen Schokin gestimmt. Formal ist der Generalstaatsanwalt damit nun entmachtet.

Derlei politische Finten werden auch beim Amt des Regierungschefs betrieben. Im Falle des unbeliebten Premiers Arsenij Jazenjuk erklärte sich Poroschenko vor zwei Monaten mit dessen Ablösung einverstanden - hält ihn aber seitdem im Amt.

Zwar gäbe es eine von vielen Ukrainern geschätzte neue Regierungschefin: Finanzministerin Natalie Jaresko gilt als kompetent und unabhängig. Die Aussicht aber, Jaresko könne eine Regierung aus unabhängigen Fachleuten bilden und echte Reformen auf den Weg bringen, schreckte Poroschenko und seine Partner so sehr, dass sie einen anderen möglichen Regierungschef präsentierten: Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman.

"Hrojsman verfolgt das Interesse des Präsidenten und einzelner politischer Gruppen", sagt Miriam Kosmehl von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kiew. Ob über Hrojsman abgestimmt wird, steht bisher nicht fest.

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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