Reformpläne:Koalition uneins über das Tempo

Nach der umstrittenen Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder über die Grenze der Belastbarkeit für die Bürger ist in der Koalition ein heftiger Streit über das weitere Reformtempo entbrannt. Auch innerhalb der SPD gibt es unterschiedliche Positionen.

Während Schröder zurückruderte und dem Eindruck widersprach, er wolle einen Reformstopp, trat SPD-Generalsekretär Olaf Scholz am Wochenende auf die Bremse, was die Grünen wiederum scharf zurückwiesen.

Scholz sagte: "Wir haben das Notwendige getan." Die Grünen bescheinigten ihm "Selbsttäuschung" und verlangten weitere Sozialreformen.

Schröder hatte kürzlich überraschend die Erneuerung der Pflegeversicherung gestoppt und zur Begründung erklärt, dass den Menschen nicht noch mehr Einschnitte zugemutet werden dürften.

Nach scharfer Kritik der Opposition bemühte er sich, den Eindruck aus der Welt zu schaffen, sein Tatendrang sei erschlafft. Er denke "überhaupt nicht" an ein Ende des Reformkurses, betonte der Kanzler in der ARD.

Er könne niemandem Hoffnung machen, dass der notwendige Umbau des Sozialsystems so vonstatten gehe, dass keiner etwas merke.

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Michael Müller ging mit der Regierung scharf ins Gericht. Im Berliner Tagesspiegel hielt er ihr Versäumnisse bei der Umsetzung von Reformen vor.

"Durch die Fülle der Aktivitäten passieren mehr handwerkliche Fehler als sonst", wurde er zitiert.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hätte vor In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform in Planspielen testen sollen, "ob alles funktioniert".

Hauptgrund für Schröders Stopp der Pflege-Reform sei gewesen, dass es noch offene Fragen in Schmidts Konzept gegeben habe.

Müller betonte jedoch, es sei legitim, in einer ersten Bilanz die Belastungen der Bürger zu betrachten und Grenzen auszuloten.

Für Scholz geht es nur noch um Bildung

Scholz sieht keinen Reformbedarf mehr bei den sozialen Sicherungssystemen.

Die Beschlüsse des vergangenen Jahres "waren nicht nur erste Schritte, denen 2004 oder 2005 weitere folgen müssten", sagte er laut Berliner Zeitung.

Nun gehe es um die Umsetzung des zweiten Teils der Reformagenda 2010, nämlich um Investitionen in Bildung, Forschung und Familien.

Zwar machte auch Scholz klar, dass die SPD ungeachtet ihrer schlechten Umfragewerte weitere Reformen wolle. Doch dürfe diese nicht immer nur als Einschnitte ins soziale Netz verstanden werden.

Der SPD mangele es an Reformeifer und Mut, klagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, laut Focus.

Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt meinte im NDR, wenn das Sozialsystem künftig seine Aufgabe erfüllen solle, müsse es gerecht modernisiert werden. Obwohl viel getan worden sei, "können wir die Hände nicht in den Schoß legen".

Als Beispiele nannte sie den Angaben zufolge die Renten-, die Pflege- und die Krankenversicherung. Scholzens Aussage "ist auch für mich etwas irritierend".

Laut SPD-Fraktionschef Franz Müntefering liegen die Schwerpunkte bei der Rente, der Erbschaftsteuer und der Zuwanderung. Er sagte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: "Wenn die SPD in der Opposition wäre, ginge die Hälfte der Partei mit den Gewerkschaften auf die Straße."

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