Süddeutsche Zeitung

Linkspartei:Streiten über Krieg und Frieden

Reformer in der Linkspartei rütteln an pazifistischen Tabus - und verabschieden sich sogar vom Feindbild Nato.

Daniel Brössler

Wenn er zur Außenpolitik befragt wurde, geriet Oskar Lafontaine als Vorsitzender der Linken regelmäßig ins Schwärmen. Da habe seine Partei dank ihres Pazifismus ein "Alleinstellungsmerkmal", versicherte er dann. In seiner Abschiedsrede auf dem Parteitag im Mai verpflichtete er seine Linkspartei noch einmal auf diesen Kurs. "Wir sind die einzige Antikriegspartei Deutschlands. Wir stehen hier allein in der Tradition der Arbeiterbewegung", rief er - und das Parteivolk jubelte. Kaum mehr als vier Monate später nun mehren sich die Fragen. In der Linken regt sich Widerstand gegen einen Kurs, mit dem die Partei tatsächlich allein steht: dem totalen Nein zu jedwedem bewaffneten Einsatz selbst dann, wenn der Auftrag von den Vereinten Nationen kommt.

Die Diskussion entzündet sich am noch maßgeblich von Lafontaine geprägten Entwurf für ein Grundsatzprogramm. Auf Regionalkonferenzen wird derzeit über den Entwurf debattiert, besonders umstritten ist die Friedenspolitik. "Einige Parteimitglieder wollen, dass wir jeden Militäreinsatz ablehnen sollen. Ich finde nicht, dass das der richtige Weg ist", bekannte der linke Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich jüngst auf einer Regionalkonferenz in Kassel. Liebich, der Sprecher des reformorientierten Forums demokratischer Sozialismus in der Partei ist, vermisst in dem Entwurf den "roten Faden". Die internationalen Kräfteverhältnisse würden ausgeblendet.

Für falsch hält Liebich die im Programmentwurf enthaltene Forderung nach "Auflösung der Nato und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands". Erst einmal müsse definiert werden, wie die neue Sicherheitsarchitektur auszusehen habe, um sie dann "als relevanter Mitgliedstaat der Nato" anzustreben, meint Liebich.

Nicht abfinden will sich der Politiker mit der Linie, wonach die Bundeswehr sich an keinen Kampfeinsätzen beteiligen darf, auch an solchen nicht, in denen die Völkergemeinschaft nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen gegen Bedrohungen des Friedens vorgeht. "Weil Ursachen, Verlauf und Lösungsmöglichkeiten von Konflikten sich unterscheiden, verbieten sich pauschale Antworten, die für jeden Einzelfall gelten", erläutert Liebich. Sei es "etwa falsch, dass UN-Blauhelme mit Waffen die Ermordung und Vertreibung der Bevölkerung in Osttimor beendet haben"?

Im Erfolgsfall könnte Liebichs Tabubruch erhebliche Hindernisse für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition im Bund aus dem Weg räumen. "Ich finde die prinzipielle Ablehnung auch ohne Regierungsbeteiligung falsch", wehrt der Abgeordnete sich aber gegen den Vorwurf der Anbiederei.

Liebich werde sich "mit Sicherheit" nicht durchsetzen, prophezeit indes Jan van Aken, Vizechef der Linksfraktion, und der Parteilinken zugehörig. Er fordert gar, jegliche Bundeswehr-Einsätze nach Kapitel VII der UN-Charta auszuschließen. Bislang ist nur von "Kampfeinsätzen" die Rede. Im Grundsatzprogramm sei er, so sagt van Aken, "gegen dehnbare Begriffe, wenn man sie vermeiden kann".

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SZ vom 29.09.2010/segi
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