Reformen in der Eurozone:Wie Europa aus der Krise kommen kann

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Das Rettungsgeld wird knapp, Frankreich schwächelt, Italien könnte sich selbst blockieren: Europa steht vor einem schwierigen Sommer. Doch langsam dreht sich die Stimmung - zugunsten von Kanzlerin Merkel. Im Stillen arbeiten Europas Strategen daran, bald eine Erfolgsgeschichte zu präsentieren.

Cerstin Gammelin, Brüssel, und Stefan Kornelius

Mittwoch war für Europa - grob gesagt - kein schlechter Tag. Die Zeitung Financial Times, eines der Zentralorgane der internationalen Finanzindustrie, urteilt in ihrem wichtigsten Meinungsstück: "The eurozone gets back on message" - die Eurozone fängt sich also wieder, sie findet zurück zu ihrer eigentlichen Botschaft.

Anlass für das ansonsten spärlich geäußerte Lob: Es hatte ein paar Tage gedauert, bis die Welt die Gipfelbeschlüsse vom Ende der vergangenen Woche verstanden hatte. Und den Wächtern des globalen Investitionshandels gefiel, dass Europa nun eine gemeinsame Bankenaufsicht kreieren und damit den spanischen Staat von der Last zusätzlicher Verpflichtungen zur Rettung seiner Banken frei halten würde.

Warum dieses Urteil so wichtig war? Weil die Geldfondsmanager eben nur englischsprachige Zeitungen lesen und über zwei Jahre hinweg den Eindruck haben mussten, dass die von Deutschland geforderte Rosskur für Europa den Kontinent in den Abgrund reißen würde.

Langsam dreht sich die Stimmung. In einer viel beachteten Titelgeschichte des Time Magazin wurde die deutsche Kanzlerin für ihre Standfestigkeit und die Reformpolitik über den grünen Klee gelobt. Der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos versprach per Interview in der FAZ, den deutschen Weg strikt einhalten zu wollen. Merkel, die selbst jeden Morgen die griechische Presse studiert, wird festgestellt haben, dass auch dort das Meinungsbild zerfällt: Auf der einen Seite die Merkelianer, auf der anderen die Drachmen-Lobby.

Anflug einer neuen Denke

Die Konstruktion der Banken-Aufsicht wird zwar einige Zeit in Anspruch nehmen, aber dennoch steckt in dem Beschluss der Regierungschefs der Euro-Gruppe der Anflug einer neuen Denke: Europa wird seine Probleme nicht mehr national, sondern gemeinschaftlich lösen. Wie - das werden die Baupläne für die Bankenaufsicht erkennen lassen. Sicher ist nur, dass diese Bankenunion ein Schritt in Richtung mehr Gemeinsamkeit auf dem Kontinent ist.

Ebenfalls in diese Kategorie fallen die Personalentscheidungen der Finanzminister der Euro-Gruppe vom Montag: Ein halbes Jahr noch soll der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker oberster Finanzvertreter der Euro-Staaten sein. Danach, wenn es eine neue, erweitere Jobbeschreibung geben wird, die dem Amtsinhaber weit größere Befugnisse einräumt als er bisher hat, könnte Wolfgang Schäuble das Amt übernehmen, anschließend dessen französischer Kollege Pierre Moscovici.

Interessant sind aber nicht die Personalspekulationen, sondern die Gelassenheit, mit der die Interimslösung verkauft wurde - und der Zeitplan. Ein halbes Jahr soll der Übergang dauern, sechs Monate, in denen an einer neuen europäischen Konstruktion gebaut werden kann: Eine Art europäisches Finanzministerium soll den Nukleus einer gemeinschaftlichen Fiskalpolitik bilden. Der Wechsel im Amt des Euro-Gruppen-Chefs könnte ein guter Anlass sein, die Rolle des obersten Finanzpolitikers Europas zu stärken und ihm ein echtes Amt mit einer schlagkräftigen Truppe an die Hand zu geben. Hollande war es, der gefordert hatte, dass der Chef der Eurogruppe nicht auch noch nationaler Minister sein dürfe. Wenn man aber Schäuble aus seinem mächtigen Amt wegbekommen möchte, wird man ihm etwas bieten müssen.

Bemerkenswerterweise entschieden sich die Finanzminister ohne Murren nur einen Tag, nachdem sich Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande in Reims getroffen hatten, um auf den Spuren Konrad Adenauers und Charles de Gaulles zu wandeln. Auch wenn der Atheist Hollande eine Messe in der Kathedrale ablehnte - vielleicht wurden die beiden dennoch vom europäischen Geist beseelt.

Damit hören die positiven Nachrichten aber schon fast auf. Wenn sich die krisengeplagten Politiker Europas spätestens Ende der kommenden Woche in den Urlaub verzogen haben werden, beginnt eine neue Phase der Unsicherheit. Denn neben der langfristigen Krisenpolitik, deren Reformprojekte wie etwa die Bankenunion erst in einigen Jahren vollständig wirken werden, gibt es die kurzfristigen Krisenattacken, die Europa schon seit zwei Jahren immer wieder heimsuchen: innenpolitische Turbulenzen und ewiger Reformstau in Griechenland, schwächelnde Unternehmen in Portugal, steigende Finanzierungskosten für Italien und die Sorge, dass nach den spanischen Banken noch das gesamte Land unter den Rettungsschirm flüchten könnte - falls Madrid Investoren weiter mehr als sieben Prozent Zinsen bieten muss.

Hilfen aus dem Provisorium EFSF werden knapp

Einige große Probleme werden Europa also auch über den Sommer hinweg plagen, plus ein paar kleinere. Zu letzteren gehört die andauernde Unsicherheit, ob die Gelder aus den Euro-Rettungstöpfen ausreichen. Denn der Plan, den provisorischen Fonds EFSF Anfang Juli durch den auf Dauer angelegten Rettungsfonds ESM ablösen zu lassen, ist nicht aufgegangen. Italien hat den ESM noch nicht ratifiziert - und auch in Deutschland will der Bundespräsident das von Bundestag und Bundesrat gebilligte Gesetz solange nicht unterschreiben, bis das Bundesverfassungsgericht über anhängige Klagen entschieden hat. Das kann erstens Monate dauern - und zweitens mag niemand voraussagen, wie die Richter entscheiden werden. Ohne die Deutschen aber wird es keinen ESM geben. Die Stimme aus Berlin ist ebenso nötig wie die aus Rom.

Sicher: So lange um den ESM gerungen wird, können noch Hilfen aus dem Provisorium beantragt werden - allerdings wird dort das Geld knapp. Abzüglich der geplanten Hilfen für Spanien und Zypern sind noch 100 Milliarden vorhanden, das reicht kaum, wenn Spanien noch mehr Hilfe braucht oder Italien an die Tür klopft.

Die größte Unbekannte schlummert allerdings in Paris. Präsident François Hollandes kurze Liebesaffäre mit dem französischen Volk neigt sich ihrem Ende zu. Die schwere Krise beim Autohersteller Peugeot hat blitzartig den wahren Zustand der Industrie offenbart: nur zu einem Bruchteil ausgelastet, rückständig bei Innovation und Forschung und zu teuer. Die Lohnstückkosten französischer Autohersteller liegen weit über denen der deutschen Konkurrenz etwa, das heißt: Sie schneiden im internationalen Vergleich zu schlecht ab bei Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität. Und: Diese Krise ist nicht neu, sie ist systemisch. Es gibt in Europa derzeit einfach zu viele Produktionsstätten, gemessen am Absatz.

Zu den großen Unbekannten gehört der Zustand der französischen Banken. Noch stehen sie vergleichsweise gut da. Doch dieser Zustand wird nur andauern, solange es der französischen Wirtschaft gut geht. Schlingern nach der Autoindustrie weitere Branchen, dürften auch die Banken leiden - und frisches Kapital benötigen. Ihr Kapitalbedarf ist zwar unbekannt. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass es für Paris eng werden könnte, helfend einzuspringen.

Irland könnte die Blaupause für den Erfolg werden

Seit einigen Tagen zeichnet sich ab, dass Italien schnell wieder in eine innenpolitische Blockade fallen könnte. Premierminister Mario Monti hatte vor dem letzten EU-Gipfel düster angedeutet, dass seine Tage im Amt gezählt sein könnten, sollte er ohne Erfolg nach Rom zurückkehren. Das Mandat seiner technischen Regierung endet spätestens im März nächsten Jahres. Im Herbst werden sich die politischen Parteien positionieren wollen. Dann könnte die Reformpolitik gänzlich zum Stillstand kommen. Die Aussicht auf eine Wiederkehr von Silvio Berlusconi wird das Vertrauen der Märkte in italienische Anleihen nicht stärken.

Im Stillen arbeiten Europas Strategen aber daran, nach dem Sommer eine Erfolgsgeschichte präsentieren zu können: Irland, das erste Euro-Land, das gerettet werden musste, soll wieder aus der Vormundschaft der Gemeinschaft an den freien Markt entlassen werden, vollständig bis Jahresende. Damit das klappt, schichten die Euro-Partner gerade die für Irland bereitgestellten Hilfen ein wenig um. Sie planen einige Milliarden Euro ein, um sofort einspringen zu können, wenn Dublin nicht genügend Investoren für seine neuen Staatsanleihen findet. Bisher sieht alles so aus, als ob diese Nothilfe nicht gebraucht wird. Irland würde dann zur Blaupause für den Erfolg.

© SZ vom 14./15.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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