Reform:Die Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben, ist nicht genug

PK UNICEF - 'Kinderrechte sind Menschenrechte'

Eine Unicef-Veranstaltung für Kinderechte in Berlin

(Foto: dpa)

Wenn man es allein juristisch betrachtet, könnte man auf einen neuen Absatz in der Verfassung getrost verzichten. Viel wichtiger wäre es, mehr Geld in Jugendämter und Schulen zu investieren.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Seit so vielen Jahren schon wird diese Grundgesetzänderung gefordert, dass man sich wundert, warum es nicht schneller ging. Denn es gibt wenige Themen, über die sich ein so großes Einvernehmen herstellen lässt wie darüber, die Kinderrechte in die Verfassung zu schreiben. Schutz, Achtung und Förderung der Grundrechte junger, verletzlicher Menschen: Wer wollte dagegen Einspruch erheben?

Die Gründe dafür, dass es so lange gedauert hat, lassen sich aus dem nun vorgelegten Entwurf von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht selbst ablesen. Die Reform war eben nicht wirklich dringlich, weil all jene Kinderrechte, die nun in drei Sätzen zusammengefasst werden sollen, längst im Grundgesetz verankert sind. Dass das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1968 formuliert. Das versucht der Entwurf gar nicht zu verbergen, im Gegenteil: Es gehe lediglich darum, die Kinderrechte "sichtbar zu machen".

Zweiter Grund für den langen Vorlauf: So ein Eingriff in den Text der Grundrechte, wo jedes Wort lange verfassungsrechtliche Dispute auslösen kann, ist kompliziert. Vor allem deshalb, weil es hier um ein schwieriges Dreiecksverhältnis geht. Denn Grundrechte sind nun mal an den Staat gerichtet, die erste Adresse für das Wohl der Kinder sind hingegen die Eltern. Wer neue Grundrechte schafft, läuft also Gefahr, die heikle Balance zu beeinträchtigen. Deshalb beteuert das Ministerium, eigentlich nichts ändern zu wollen, weder an den Rechten der Eltern noch an ihrer vorrangigen Verantwortung.

Wenn man es allein juristisch betrachtet, könnte man auf einen neuen Absatz im Grundgesetz also getrost verzichten, da er erklärtermaßen wirkungsneutral bleiben soll. Trotzdem ist der Vorstoß des Ministeriums nicht verkehrt. Denn er ruft in Erinnerung, dass Kinder zwar Grundrechte haben, aber bei deren Durchsetzung auf Hilfe angewiesen sind. Der Anspruch auf Förderung, das Recht auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, das Kindeswohl: All dies umschreibt, dass die Autonomie des Kindes als Inhaber von Grundrechten etwas ist, das es in der jeweiligen Biografie erst noch zu erreichen gilt. Es geht um verletzliche, schutzbedürftige Menschen, die noch auf dem Weg sind, um die Verteidigung ihrer Rechte in eigene Hände nehmen zu können.

Dies alles verharrt freilich auf einer symbolischen Ebene. Auch nach einer Reform muss jedem und jeder klar sein, dass man mit einem frischen Absatz im Grundgesetz auf dem Weg zum wirksamen Schutz oder zur altersgemäßen Förderung junger Menschen noch keinen Meter Boden gut gemacht hat. Mit 60 neuen Wörtern im Grundgesetz ist in der mitunter beklemmenden Wirklichkeit der Familien noch nichts, aber auch gar nichts erreicht. Das Signal, das die Ministerin mit den Kinderrechten aussenden will, darf sich daher nicht darin erschöpfen, dass die Koalition einen Arbeitsnachweis geliefert hat. Die Arbeit liegt noch vor uns, in der Ausstattung von Schulen, Jugendämtern und Kitas zum Beispiel. Das große Versprechen der Verfassung spürbar und greifbar zu machen, wird Geld kosten. Der Effekt der Grundgesetzänderung ist in dieser Hinsicht eher ernüchternd. Dort heißt es: "Der Entwurf löst keinen Erfüllungsaufwand aus."

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