Reform der Sicherungsverwahrung:"In Strafhaft ging es mir erheblich besser"

Die Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter sollte menschlicher werden. Ist das gelungen? Ein Besuch in einer JVA.

Von Thomas Hahn, Rosdorf

Um Arne A. zu besuchen, muss man in eine Welt eintauchen, die hinter hohen Mauern liegt. Denn Arne A. wohnt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rosdorf, in Niedersachsens Zentralunterbringung für Sicherungsverwahrte. Einer relativ neuen Einrichtung, die den gestiegenen Ansprüchen der Sicherungsverwahrung in Deutschland Genüge tun soll. Der Weg zu Arne A. führt durch einen bewachten Eingang in einen Warteraum, in dem man seine Sachen bis auf die nötigsten wegsperren muss. Weiter durch eine Sicherheitsschleuse, schmucklose Gänge und schwere Türen, die Besucher nur öffnen können, wenn das Sicherheitspersonal es will. Bis man endlich in einem kleinen Besuchszimmer Platz nimmt, in dem neben Arne A. auch dessen Anwalt Helmut Pollähne wartet. Arne A. will berichten, ob er etwas spürt von den gestiegenen Ansprüchen der Sicherungsverwahrung. Er sagt: "In Strafhaft ging es mir erheblich besser."

Arne A. gehört zu einer Gruppe von Leuten, die vor dem Gesetz bis auf Weiteres als unverbesserlich gelten. Viereinhalb Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung lautete das Urteil, als Arne A. 2003 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt wurde. Die Sicherungsverwahrung ist eine Art unbegrenzte Verlängerung der Haft unter freundlicheren Bedingungen. Große Fragen sind damit verbunden: Wie muss der Staat mit ehemaligen Straftätern umgehen, denen er nicht mehr vertraut? Welche Chancen kann er ihnen gewähren, ohne die allgemeine Sicherheit zu gefährden? Und man kann nicht sagen, dass die neuen Gesetze, die es dazu seit Juni 2013 in den einzelnen Ländern gibt, schon lauter eindeutige Antworten gebracht hätten. "Das ist ein neues Gesetz", sagt Regina Weichert-Pleuger, die Leiterin der JVA Rosdorf, "und wir, genauso wie die Sicherungsverwahrten, müssen mit diesem Gesetz umgehen lernen." Das Thema wird ab Sonntag auch bei einer dreitätigen Fachtagung in Cloppenburg mit dem Titel "Weichen gestellt für den Justizvollzug?" anklingen, an der Niedersachsens Justizministerium mitgearbeitet hat.

In Niedersachsen kann man anschaulich erleben, wie sehr der Anspruch einer menschenfreundlicheren Sicherungsverwahrung den Justizvollzug herausfordert. Es ist eine komplizierte Geschichte, auch deshalb, weil hier Menschen um ihr Recht kämpfen, die die Gesellschaft nachhaltig verschreckt haben. Wer Kinder missbraucht hat, schürt anhaltende Ängste.

Arne A. trägt eine Schnürsenkel-Krawatte zum blauen Hemd und Stoffhosen. Er wirkt wie ein unscheinbarer Mann mittleren Alters, der es gerne ordentlich hat. Er hat einen Aktenordner dabei, in dem er alle Briefe und Schriftstücke zu seinem Fall säuberlich abgeheftet hat, seine Geschichte erzählt er ruhig und klar. Etwas zu oft betont er, was für ein musterhafter Gefängnisbewohner er sei. Aber abtun kann man seine Ausführungen nicht, schon gar nicht nach der neuen Rechtslage, nach der jeder Sicherungsverwahrte die Aussicht bekommen muss, eines Tages wieder in Freiheit zu leben.

Sicherungsverwahrung in Hessen

2013 wurde die Sicherungsverwahrung in Deutschland reformiert. Nun müssen Betroffene in eigenen Bereichen ohne Dauereinschluss untergebracht sein.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Am Anfang seiner Haftstrafe stand die Bitte von Arne A., eine Therapie zu bekommen. Seine Strafhaft hatte er längst abgesessen, als A. im Herbst 2010 in der JVA Lingen ein dort entwickeltes, auf zwei Jahre angelegtes Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter beginnen konnte. "Das war hilfreich", sagt Arne A. "ich habe da erst Einsicht bekommen, was ich den Opfern damals angetan habe". Am Ende des Programms musste er darlegen, wie er künftig Kindesmissbrauch vermeiden wolle. Allmählich gewann Arne A. das Vertrauen des Staates zurück, die Bedingungen seiner Sicherungsverwahrung lockerten sich. Ab 2013 durfte er jeden Tag mit Beamten und in der Gruppe raus. Er durfte sogar regelmäßig für fünf Stunden ohne Beamte ausgehen. "Zur Erhaltung der Lebensqualität war das schon sehr brauchbar", sagt A.

Für die Haftanstalten ist jede Lockerung, jeder Aufenthalt draußen ein Risiko

Aber im Mai 2014 vergewaltigte ein Mann, der seine Zelle in der sozialtherapeutischen Einrichtung der JVA Lingen auf dem gleichen Flur hatte wie A., bei einem Ausgang ein Mädchen. Das Medien-Echo war beträchtlich, politische Debatten loderten hoch. Arne A. bekam einen Brief, in dem stand, dass "ein besonderes Vorkommnis in vollzugsöffnenden Maßnahmen durch einen Sicherungsverwahrten" dazu führte, dass seine Freigänge "bis zur erneuten Überprüfung" nicht mehr stattfinden könnten. Wenige Wochen später mussten A. und der zweite verbliebene Lingener Sicherungsverwahrte nach Rosdorf umziehen, ins Zentrum für Niedersachsens Sicherungsverwahrte, welches das Land infolge der neuen Rechtslage 2013 eröffnet hatte. "Unsere Versuche, das vor Gericht anzufechten, waren erfolglos", sagt Arne A.s Anwalt Helmut Pollähne.

Und in Rosdorf fühlt sich A. nun wieder zurückgeworfen auf den Stand vor dem Behandlungsprogramm in Lingen. Er hat hier zwar eine großzügige Zelle von 23 Quadratmetern und darf sich von den 229 Euro, die ihm monatlich zustehen, selbst versorgen. Aber die Therapie-Angebote findet er zu schlicht. Raus darf A. nur noch gefesselt und in Begleitung zweier Beamten. "Das, was man bei ihm erreicht hat, wird nachträglich dadurch gefährdet, dass nicht mehr daran angeknüpft werden kann", sagt Pollähne. Er sieht die neue Rechtslage unzureichend umgesetzt. "Baulich haben sie das hingekriegt hier", sagt er, "aber mit qualifiziertem Personal für Sozialtherapien hapert's."

Hinter Gittern

Zum Stichtag 31. März 2014 saßen in Deutschland 508 Personen in Sicherungsverwahrung. Die meisten von ihnen - insgesamt 200 - mussten sich wegen Sexualdelikten verantworten, 16 wegen Mordes, elf wegen versuchten Mordes und 28 wegen Totschlags. 38 Menschen hatten Straftaten "gegen die körperliche Unversehrtheit" begangen, 86 wurden wegen Raubes und Erpressung verurteilt, 23 wegen gefährlicher Körperverletzung. Insgesamt gab es laut Statistischem Bundesamt 54 515 Strafgefangene, 51 419 waren Männer, 3096 waren Frauen. SZ

Auf dem Weg zur Anstaltsleiterin Regina Weichert-Pleuger fällt der Blick durch Gitterstäbe auf gepflegte Beete. Im Aufzug geht es in den wohnlicheren Teil der Anstalt. Teppich, Bilder an den Wänden. Regina Weichert-Pleuger ist eine freundliche Frau mit kurzen Haaren und einem mächtigen Schlüsselgurt. Die Darstellungen von A. findet sie missverständlich. Dass er nach Rosdorf gekommen sei, habe nichts mit der Flucht seines damaligen Lingener Kollegen zu tun. "Die Gründe liegen bei Herrn A.", sagt sie, ohne das auszuführen. Er lasse sich nicht auf die Rosdorfer Angebote ein. "Wir hatten noch gar keine Chance, ihn irgendwie einschätzen zu können.

Die neue Rechtslage habe bei den Sicherungsverwahrten falsche Erwartungen geschürt. "Sie hoffen, dass sie über die Behauptung, der Vollzug der Sicherungsverwahrung sei rechtswidrig, aus formalen Gründen entlassen würden", sagt Weichert-Pleuger. Sie selbst findet die Rechtslage gerade dort klar, wo sich A. zu straff gehalten fühlt, bei den Ausgangsregeln.

Unwägbarkeiten sieht sie beim Umgang mit dem neuen Abstandsgebot, der Vorgabe also, Sicherungsverwahrte im Vollzug besser zu stellen als Strafhäftlinge: "Was dürfen, was sollen wir an Bewegungsfreiheit, an Gegenständen während der Unterbringung ermöglichen?" Den Eindruck, dass die JVA Rosdorf mit fünf Sozialarbeitern, sechs Psychologen und dem Sicherheitspersonal zu schlecht ausgestattet sei, um ihren 35 Sicherungsverwahrten eine Perspektive auf Freiheit zu geben, teilt sie nicht. Auch Niedersachsens Justizministerium, das die Grüne Antje Niewisch-Lennartz leitet, teilt mit: "Anhaltspunkte für eine Überforderung der JVA haben sich nicht ergeben."

Aber klar wird schon, wie schwierig es für die Vertreter des Justizvollzugs ist, abzuwägen zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit und den Rechten jener Menschen, die trotz verbüßter Strafe vielen Angst machen. Auf die Flucht eines verurteilten Sexualstraftäters reagiert die Öffentlichkeit empfindlich. Regina Weichert-Pleuger sagt: "Die Sicherungsverwahrten möchten möglichst viel und lange raus. Das kann ich verstehen. Für uns ist aber jeder Aufenthalt außerhalb der Anstalten ein Risiko." Anwalt Pollähne kann die Öffentlichkeit und Anstaltsleiterin Weichert-Pleuger verstehen. "Allerdings sieht man nicht, dass ganz viele in der Sicherungsverwahrung sitzen, die niemals nachweisen können, dass sie gar nicht gefährlich sind", sagt er, "die Leiterin wäre nach ein, zwei weiteren Zwischenfällen ihren Job los. Dass hier möglicherweise ungefährliche Leute sitzen, kostet sie den Job nicht."

Helmut Pollähne glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es das nächste Grundsatzurteil zu diesem Dilemma gibt. Und Arne A.? Er hat ein psychiatrisches Gutachten in der Tasche, das günstig für ihn ausgefallen ist. Aber seine jüngste Anhörung brachte ihn nicht viel weiter. Arne bleibt vorerst in Sicherungsverwahrung. Er hat dagegen Beschwerde eingelegt.

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