Süddeutsche Zeitung

Reform der Abgeordneten-Diäten:Zehn Prozent auf einen Streich

Die Abgeordneten des Bundestages wollen sich ihre Monatsbezüge erhöhen - das ist weniger anmaßend, als es zunächst aussieht. Verwerflicher ist die Kostenpauschale, auf die kein Parlamentarier verzichten will.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Nur mal angenommen, die Gewerkschaften Verdi und Beamtenbund hätten am Dienstag eine Lohnforderung von zehn Prozent gestellt. Nur mal angenommen also, das wäre der Wert, den die Sowieso-schon-Nervensäge Frank Bsirske für die Tarifrunde mit dem Bund und den Kommunen proklamiert hätte. Die Ungläubigkeit, ja die Empörung, wäre so groß gewesen, dass sich zumindest ein, zwei Tage lang für den ADAC niemand mehr interessiert hätte.

In dem Fall hätte auch der Hinweis kaum etwas genutzt, dass dies ja nur eine Forderung sei, dass Forderungen niemals Ergebnisse . . . etc. Und damit herüber in die Realität: Es wird zehn Prozent mehr Geld geben. Nicht bei Krankenschwestern, und auch nicht bei Erzieherinnen; aber bei Bundestagsabgeordneten.

Die große Koalition will ein leidiges Thema ein für allemal abschließen. Seit Jahrzehnten waren die Abgeordneten Vorwürfen und Verdächtigungen ausgesetzt, wann immer sie eine Erhöhung ihrer Bezüge beschlossen.

Ihr Einkommen liegt erstens weit oberhalb des Durchschnittsverdiensts, und sie sind zweitens die einzigen im Land, die in der Lage sind, ihr Einkommen selbst festzulegen. Ersteres ist völlig in Ordnung, Letzteres ebenso misslich wie unvermeidlich: Wer sonst außer dem Parlament sollte in der parlamentarischen Demokratie über die Bezahlung von Parlamentariern entscheiden?

Bisher belaufen sich die Monatsbezüge eines MdB auf 8 252 Euro - was nicht so viel ist, wie es sich anhört. Die Tätigkeit kann von ihrem Wesen her mit jedem anderen Führungsjob verglichen werden, für die ein akademischer Abschluss in der Regel die Voraussetzung ist.

Sie dürfte aber deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen: Wenn man bedenkt, dass kaum ein Bundestagsabgeordneter weniger als 80 Stunden in der Woche arbeitet, oft verteilt auf alle sieben Tage, dann reduzieren sich die 8252 Euro recht schnell - auf einen Stundenlohn von 20 bis 25 Euro. Dafür würde sich kein Steuerberater, keine PR-Agentin die Schuhe binden.

Zudem handelte es sich bei dem bisherigen Betrag um einen im Grunde zufälligen, irgendwie immer fortgeschriebenen Wert. Auf Empfehlung einer Kommission unter Vorsitz des früheren Bundesjustizministers Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) will die große Koalition nun Systematik in die Sache bringen: Künftig soll der Maßstab für die Bezahlung der Abgeordneten die Besoldung von Richtern an einem obersten Gerichtshof des Bundes sein.

Das mag eine durchaus vergleichbare Gruppe sein. Und weil deren Angehörige derzeit auf ein Gehalt von 9082 Euro kommen, sollen auch die Abgeordneten künftig diesen Betrag bekommen, von Januar nächsten Jahres an. Sind damit die zehn Prozent auf einen Streich nicht nur erklärt, sondern sogar gerechtfertigt?

Es hat in der Wirtschaft schon öfters den Fall gegeben, dass eine Berufsgruppe sich notorisch unterbezahlt fühlte, dass sie mit guten Argumenten - Nachtarbeit, unregelmäßige Arbeitszeiten, regelmäßige Abwesenheit von daheim - endlich den großen Sprung nach vorn schaffen wollte. Geklappt hat das so gut wie nie.

Verdi-Chef Bsirske nimmt sich große Koalition zum Vorbild

Was jahrelang versäumt worden ist, kann in der Regel nicht mit einem Mal nachgeholt werden; so etwas brächte jeden Etat, jeden Stellenplan aus dem Gefüge. Es führt zu nichts Gutem, wenn nun die Abgeordneten sich den Vorteil zunutze machen, keinen Tarifpartner als Gegengewicht zu haben, wenn also ausgerechnet diese Gruppe für sich mal schnell ein Problem löst, vor dem andere Gruppen immer nur kapitulieren können.

Es führt auch deshalb zu nichts Gutem, weil die große Koalition dem Namensgeber ihrer Kommission fast nur dort folgt, wo dies zum finanziellen Vorteil der Abgeordneten ist. Schmidt-Jortzig wollte die Kostenpauschale von 4204 Euro abschaffen, die jeder Abgeordnete zusätzlich zu seinen Bezügen und steuerfrei erhält.

Er hatte daran erinnert, dass zum Beispiel ein Abgeordneter aus Berlin dortselbst keinen zweiten Wohnsitz braucht und ein Abgeordneter aus der Großstadt weitaus weniger PKW-Kosten hat als sein Kollege vom Land. Er wollte, dass tatsächliche Kosten erstattet werden, nicht aber, dass ein verschwiemeltes Zweiteinkommen so bleibt, wie es ist.

Das Manöver der Koalition führt nur dazu, dass andere sich sagen: Maßlos sein können wir auch. Verdi-Chef Bsirske war am Dienstag nicht so plump, zur Eröffnung der Tarifrunde die zehn Prozent auszusprechen. Er forderte vielmehr "100 Euro plus 3,5 Prozent", und im Nahverkehr 70 Euro zusätzlich. Klingt harmlos. Es entspräche aber, je nach Einkommensgruppe, einem Plus von sieben bis mehr als zehn Prozent. Man muss nicht lange rumrätseln, wen Bsirske und seine Mitstreiter sich da zum Vorbild genommen haben.

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SZ vom 12.02.2014/fie
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