Süddeutsche Zeitung

Referendum:Wie viele Menschen nach Großbritannien einwandern

  • EU-Gegner wenden sich gegen die Freizügigkeit innerhalb der Union und fordern, die Einwanderungspolititk solle wieder eine nationale Angelegenheit werden.
  • Immigranten aus anderen EU-Staaten sind in Großbritannien weiterhin in der Minderheit. Die meisten kommen aus Drittstaaten.
  • Der Ausländeranteil liegt in Großbritannien unter dem EU-Durchschnitt. Allerdings hat er sich in den vergangenen Jahren verdoppelt.

Von Katharina Brunner und Martina Schories

Einwanderung ist eines der zentralen Themen im Wahlkampf vor dem EU-Referendum in Großbritannien. "Unmoralisch und unfair" nennen die Brexit-Befürworter, dass EU-Bürger ihren Wohnort in den Mitgliedsstaaten frei wählen können.

Gestritten wird über die Einwanderungspolitik schon länger. In seiner ersten Amtszeit hat Premierminister David Cameron 2010 versprochen, die Netto-Einwanderung auf 100 000 Menschen im Jahr zu beschränken. Das ist ihm nicht gelungen.

Wie können Menschen nach Großbritannien einwandern?

Für Einwanderer aus Staaten außerhalb der Europäischen Union gilt ein Punkte-System, mit dem Großbritannien Einwanderung kontrolliert. Je gebildeter, desto mehr Punkte, desto höher die Chancen auf ein Leben in Großbritannien. Auf diese Weise möchten Brexit-Befürworter auch in Zukunft Einwanderer aus der EU sortieren. Bleibt Großbritannien weiterhin in der EU, ist eine solche Kontrolle nicht möglich. Denn seit 2004 hat jeder EU-Bürger das Recht auf Freizügigkeit und darf seinen Wohn- und Arbeitsplatz in den Mitgliedsstaaten frei wählen.

Das Argument der britischen EU-Gegner lautet deshalb: Bleibt das Vereinigte Königreich in der EU, gibt es seine Kontrolle über die Zuwanderung auf. Der Streitpunkt Migration dreht sich deshalb vor allem um diejenigen Menschen, die aus einem der 27 anderen EU-Länder nach England, Nordirland, Schottland oder Wales kommen.

Wie viele EU-Bürger ziehen nach Großbritannien?

184 000 EU-Bürger kamen im vergangen Jahr netto nach Großbritannien, also nach Abzug derjenigen, die das Land wieder verließen. Das sind etwas weniger als die Hälfte aller Einwanderer. Die Mehrheit kommt weiterhin aus Drittländern, auch wenn der Unterschied in den vergangenen Jahren geschrumpft ist.

Nur drei Länder öffneten ihre Arbeitsmärkte mit Beginn der Freizügigkeit vor zwölf Jahren sofort und ohne Bedingungen: Schweden, Irland - und Großbritannien. Diese Zäsur ist in der Grafik klar erkennbar. Innerhalb eines Jahres ist das Niveau der Einwanderung aus den EU-Ländern stark angestiegen.

Wie steht Großbritannien im Vergleich zu anderen EU-Ländern da?

Es stimmt, was die Brexit-Befürworter sagen: Relativ viele EU-Bürger ziehen in das Vereinigte Königreich. Ihre Zahl liegt zwölf Prozentpunkte höher als im EU-Durchschnitt.

Es gibt in diesem Punkt eine große Spanne innerhalb der EU: In die meisten osteuropäischen Länder ziehen kaum andere EU-Bürger. Auf der anderen Seite gibt es nur drei Länder, in die mehr Menschen aus der EU migrieren als aus allen anderen Ländern: Belgien, Österreich und Luxemburg.

Leben in Großbritannien mehr Ausländer als in anderen EU-Ländern?

Nein, die Ausländerquote im Vereinigten Königreich liegt sogar leicht unter dem EU-weiten Durchschnitt. Jedoch hat sich der Anteil von Menschen ohne britischen Pass seit dem Ende des 20. Jahrhunderts von etwas weniger als vier Prozent auf mehr als acht Prozent fast verdoppelt. Zum Vergleich: In Deutschland blieb in dieser Zeit der Ausländeranteil in etwa gleich und liegt bei neun Prozent.

Wer sind die Einwanderer?

Die meisten Einwanderer kamen in den vergangenen Jahren aus drei Ländern: China, Indien und - hier zeigt sich die Freizügigkeitsregelung der EU - aus Polen. Der polnische Handwerker gilt in Großbritannien als das Einwanderer-Klischee schlechthin.

Wo leben die Ausländer in Großbritannien?

In Großbritannien ist es so, wie in vielen anderen Ländern: Es gibt ein Stadt-Land-Gefälle. Ausländer leben vorwiegend in den großen Städten. Gerade die Metropole London strahlt auch ins Umland aus.

In Schottland gibt es vor allem eine Stadt mit einem hohen Ausländeranteil: Aberdeen. Seit Anfang der 1970er Jahre die ersten Ölfelder in der Nordsee erschlossen wurden, entwickelte sich die Hafenstadt schnell zum Hauptversorgungszentrum für die Offshore-Plattformen. Und ist deshalb ein attraktiver Platz für Einwanderer auf Jobsuche.

Herausstechend ist auch der Forest Heath District im Osten Englands. Einwanderer im klassischen Sinne leben dort weniger. Dass die Nichtbriten trotzdem auf 31 Prozent der Bevölkerung kommen, liegt an einem Militärflugplatz der United States Air Force.

Als eine der EU-feindlichsten Gegenden gilt die Grafschaft Kent im Südosten Englands: 97 Prozent der Einwohner sind weiß, nur fünf Prozent sind nicht als Briten geboren.

Und was ist mit Flüchtlingen?

Großbritannien hat einen Sonderstatus in der EU und konnte sich von vornherein vom Plan ausschließen, Flüchtlinge per Quote in den EU-Ländern zu verteilen. Das zeigt sich auch an der geringen Zahl der Asylanträge. Premierminister Cameron hat angekündigt, auf freiwilliger Basis in den kommenden vier Jahren 20 000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen.

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