Süddeutsche Zeitung

Referendum in Ungarn:Viktor Orbán will "Willen des Volkes" per Verfassung zementieren

So wenig Widerstand es im Vorfeld gegen seine Kampagne gegeben hatte, so erstaunt dürfte Ungarns Premier über das Ergebnis des Referendums gewesen sein. Doch er hat schon eine Idee.

Von Cathrin Kahlweit

Karikaturen des Ministerpräsidenten mit Pinocchio-Nase, John Lennons Text von "Imagine", das Logo der Satirepartei "Der zweischwänzige Hund" - etwa sechs Prozent aller Ungarn verzierten ihre Wahlzettel für das Referendum am Sonntag mit Botschaften an die Regierung. Wir nehmen euch nicht ernst, sollte das heißen, lügt uns nicht an, hört auf mit Hetze und Fremdenhass.

Die Stimmzettel ungültig zu machen - das war ein Vorschlag der Opposition gegen das Referendum gewesen, mit dem Viktor Orbán in einer "Schicksalswahl" darüber abstimmen ließ, dass niemand anderes als das ungarische Parlament entscheiden darf, wer in Ungarn leben und mit wem die Ungarn leben wollen. Gar nicht hinzugehen - das war die andere Variante des Aufstandes gegen eine Kampagne gewesen, die sich über Monate hinzog, weit mehr als die Hälfte der Wähler gingen diesen Weg.

Zum Schluss jubelte die ungarische Linke: ungültig, das Quorum von 50 Prozent, das in Ungarn für eine Volksabstimmung vorgeschrieben ist, ist nicht erreicht. Das war ein Erfolg, an den kaum jemand geglaubt hatte.

Was hatte die Regierung in den vergangenen Monaten nicht alles aufgeboten, um das Referendum durchzubringen. Mehr als 30 Millionen Euro kostete das alles: die Flyer, die an jeden Haushalt verteilt wurden, die Großplakate, mit denen das Land überzogen wurde und die sagten: "Lassen wir es nicht darauf ankommen, schicken wir Brüssel eine klare Botschaft!"

Fidesz propagierte Fremdenfeindlichkeit

In Hunderten von Veranstaltungen und Reden in Gemeindesälen und Rathäusern propagierten prominente Fidesz-Politiker den Regierungskurs: Wir entscheiden, mit wem wir leben wollen - und die Muslime, die Wirtschaftsflüchtlinge, die Terroristen, die man uns aufhalsen will, die sind es nicht.

In Power-Point-Shows wurden 900 No-Go-Zonen in ganz Europa an die Wand geworfen, in denen Ausländer die Macht übernommen hätten und in die sich Inländer gar nicht mehr hineintrauten; fremde, feindselige Horden stünden bereit, um Europa zu überrennen.

Juden wie der ungarisch-stämmige Philantrop und Unternehmer George Soros würden Islamisten finanzieren und auf die Reise schicken, um Europas Werte zu zerstören, und linksliberale Eliten in Brüssel würden ihn dabei unterstützen. So ging das Tag um Tag, Woche um Woche.

Zweifel, Fragen - keine?

Bei den Veranstaltungen der Regierungspartei kam selten Widerspruch auf. Umso erstaunter dürften die Regierungs- und Parteivertreter rund um Viktor Orbán am Sonntagabend gewesen sein, als sich herausstellte: verloren, keine Mehrheit.

Andererseits: 98 Prozent derer, die abstimmten, stimmten für Fidesz und gegen Brüssel, für die Abschottung gegen Ausländer und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Orbán kündigte daher an, er werde dem Parlament eine Verfassungsänderung vorlegen, in welcher der "Wille des Volkes" im Gesetz zementiert werde.

Das Ergebnis des Referendums sei "außergewöhnlich", die Zahl derer, die mit Nein, also gegen eine von Brüssel vorgegebene Verteilungsquote für Flüchtlinge gestimmt habe, sei sogar höher gewesen als die Zahl jener, die 2004 für den Beitritt Ungarns zur EU gestimmt hätten. Orbán bestand auch darauf, dass das Ergebnis Konsequenzen in Brüssel nach sich ziehen müsse.

"Die Frage ist einfach", so der Ministerpräsident, "kann Brüssel, die demokratische Gemeinschaft europäischer Staaten, einem Land seinen Willen aufzwingen, wenn mehr als 90 Prozent der teilnehmenden Wähler das zurückweisen?" Er werde alles dafür tun, dass das nicht geschehe, so Orbán. "Die Waffe dieses Referendums sollte dafür stark genug sein." Eines Referendums also, das nach ungarischer Gesetzeslage mangels Beteiligung ungültig ist.

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