Referendum in Katalonien:Spanien könnte zurück in die Rezession stürzen

Nach dem Referendum in Katalonien

Tausende Katalanen waren in Erwartung der Unabhängigkeitserklärung auf die Straßen gegangen. Nun drohen Streiks.

(Foto: dpa)

Kommt es in Katalonien zum Generalstreik? Ein längerer Ausstand würde die spanische Wirtschaft empfindlich treffen und könnte Auswirkungen auf die ganze EU haben.

Kommentar von Thomas Urban

Nun wird wohl das eintreten, was man bei der EU befürchtet hat, was aber die Regierungen in Madrid und Barcelona bewusst in Kauf nehmen, weil sich beide einen Nutzen davon versprechen: Die Führung der Region Katalonien, die im Sinne der spanischen Verfassung eine Rebellion anzettelt, wird abgesetzt werden.

In der jungen Geschichte der spanischen Demokratie hat sich die Zentralregierung in Madrid noch nie eine Region unterstellt. Die Folgen sind nicht abzusehen. Es ist allerdings sehr fraglich, ob der spanische Premierminister Mariano Rajoy mit der Absetzung der katalanischen Regionalregierung unter Carles Puigdemont das Problem löst.

Beide Seiten trifft die Schuld an der Eskalation. Die katalanische Führung hat die Sezession vom Königreich Spanien vorangetrieben, obwohl weniger als 40 Prozent der Einwohner der Region dies unterstützen. Diese Zahl ergibt sich aus den Regionalwahlen von 2015, dem vom Verfassungsgericht für illegal erklärten Referendum vom 1. Oktober sowie aus den Umfragen der vergangenen Jahre, die die Generalitat de Catalunya, die Regierung in Barcelona, selbst in Auftrag gegeben hat. Ihr oberster Vertreter, Carles Puigdemont, und seine Mitstreiter verfügen also über keine Legitimation, die Unabhängigkeit Kataloniens anzustreben.

Rajoy hat das Problem lange völlig unterschätzt. Er war zunächst von der Annahme ausgegangen, dass die Katalanen zur Vernunft zurückkehren würden, wenn sich die Volkswirtschaft im gesamten Land erholt. Der Wunsch nach Eigenständigkeit entsprang ja auch der Vorstellung, dass die fleißigen Katalanen von den korrupten übrigen Regionen übervorteilt würden.

Doch als sich trotz der wirtschaftlichen Erholung abzeichnete, dass der Sezessions-Wunsch weiter besteht, unternahm er keinen einzigen Schritt, der Führung in Barcelona Kompromisse unterhalb der Abspaltung vorzuschlagen. Die Forderung der Katalanen, den unausgegorenen und intransparenten Finanzausgleich zwischen den Regionen neu auszuhandeln, ist ja keineswegs unbegründet. Doch Rajoy blieb stur.

Schon jetzt haben die Experten die Wachstumsprognosen herabgesetzt

Nun besteht die Gefahr, dass die Führer der Unabhängigkeitsbewegung zum Generalstreik aufrufen. Ein längerer Ausstand in der Industrieregion würde die spanische Wirtschaft empfindlich treffen, das Land könnte in die Rezession zurückfallen. Schon jetzt haben die Experten die Wachstumsprognosen herabgesetzt. Sollte Spanien wieder zum Krisenfall werden, so hätte dies Folgen für die ganze EU. Brüssel muss also an der Stabilität Spaniens interessiert sein, ganz abgesehen davon, dass die EU auf keinen Fall die Serie von Verfassungsbrüchen, die Barcelona vollzieht, gutheißen kann.

Dass der Konflikt so sehr eskalieren konnte, ist letztlich auch Brüssel zuzuschreiben. Zwar kann die EU sich nicht offen in einen internen Konflikt eines Mitgliedstaates einschalten; doch gibt es genügend Kanäle, über die man hätte einwirken können, ohne dass jemand sein Gesicht verliert.

Beide Konfliktparteien versprechen sich offenkundig einen Nutzen von der Zuspitzung. Sie denken zu kurz: Sowohl Rajoy als auch Puigdemont führen Minderheitskabinette. Bei Neuwahlen zum nationalen Parlament dürften die Konservativen in Madrid von ihrer harten Linie, die eine patriotische Welle im Lande ausgelöst hat, spürbar profitieren. Ähnlich kalkuliert offenbar das Lager Puigdemonts: Im Falle vorgezogener Wahlen in Katalonien hofft man, mit dem Nimbus des von Madrid Unterdrückten ebenfalls dazuzugewinnen. Allerdings sprechen die Umfragen dafür, dass wohl auch diese Annahme falsch ist: Viele Katalanen träumen zwar vom eigenen Staat, aber noch mehr wollen sie sich auf keinen Fall in Europa isolieren.

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