Referendum in Griechenland:Papandreous Endspiel

Griechenlands Premier Papandreou will sein Volk über ein Hilfspaket abstimmen lassen - und Europa erzittert. Eine Abgeordnete tritt umgehend aus seiner Partei aus. Merkel und Sarkozy vereinbaren ein Krisentreffen, die Bankenbranche beschreibt Schreckensszenarien, die EU schweigt zunächst in Schockstarre. Was ein Nein der Griechen bei der Abstimmung bedeuten würde und was Papandreou alles riskiert.

Die wütenden Massen, die Protestschilder und Molotow-Cocktails in Athen konnten Griechenlands Helfern in Brüssel, Paris und Berlin bisher herzlich egal sein. Sie verhandelten schließlich nicht mit den Demonstranten vor dem Parlament, die sozialen Kahlschlag im Land befürchten. Sie verhandelten mit der Regierung von Giorgos Papandreou.

File photo shows Greece's Prime Minister Papandreou briefing the media after a meeting with European Council President Van Rompuy in Brussels

Bankenchefs und Staatenlenker fühlen sich von seiner Ankündigung eines Referendums vor den Kopf gestoßen: Griechenlands Premierminister Giorgos Papandreou.

(Foto: REUTERS)

Wenn der nur seine Parlamentsmehrheit auf Linie hielt, konnten EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) mit ihm den radikalen Umbau des Landes als Gegenleistung für die MIlliardenhilfe vereinbaren. Das hat sich nun durch Papandreous überraschende Ankündigung geändert, die Griechen über das Sparpaket abstimmen zu lassen. Jetzt verhandeln die Helfer direkt mit dem griechischen Volk.

Es sah so aus, als hätten Europas Staats- und Regierungschefs endlich einen großen Schritt zur Eindämmung der Schuldenkrise gemacht. Beim Brüsseler Gipfeltreffen hatten sie erst am vergangenen Donnerstag einen Schuldenschnitt um 50 Prozent und weitere Milliardenkredite für Griechenland beschlossen. Das alles könnte nun hinfällig sein - wenn die Griechen die Kürzungen ablehnen. Sie sollen abstimmen, wenn die Einzelheiten des Schuldendeals ausgehandelt sind. Das dürfte sich bis Anfang 2012 hinziehen.

Im Ausland fragt man sich, was Papandreou mit dem Referendum bezweckt. Die Antwort findet sich in der griechischen Innenpolitik: Die bisherigen Reformen hat er nur mit knapper Mehrheit durchgebracht. Bei vielen Griechen ist er wegen der Einschnitte unbeliebt. Der Regierungschef gilt in Teilen der Bevölkerung als Marionette, die Auflagen aus dem Ausland durchsetzt. Das Referendum soll dem Premier und seinem Regierungsbündnis vor allem Rückhalt in der Bevölkerung verschaffen. Papandreou, dessen Regierungszeit offiziell noch bis 2013 dauert, will sein politisches Schicksal deshalb mit der Zustimmung des Volks verknüpfen und im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Er will die Einigkeit von Regierung, Parlament und Bevölkerung erzwingen - oder scheitern.

Zu den Details der Abstimmung machte Papandreou zunächst keine Angaben. Klar ist: Die Bürger sollen Ja oder Nein zum zweiten Rettungspaket sagen. Das Ergebnis sei für die Regierung bindend, kündigte der Premier an. Unklar ist auch, ob das Vorhaben rechtlich überhaupt möglich ist. Griechische Oppositionspolitiker meldeten bereits Zweifel an: Sie argumentieren, dass laut Verfassung über Wirtschaftspolitik nicht abgestimmt werden dürfe. Papandreous Rivale von der konservativen Nea Dimokratia, Andonis Samaras, verweigert bislang jede Kooperation bei der Sanierung der Staatsfinanzen.

Sollten die Griechen das Hilfspaket ablehnen, könnte dies das Ende der Hilfszahlungen von Internationalem Währungsfonds und Euro-Ländern bedeuten. Ein dramatisches Bild zeichnen die Volkswirte der Commerzbank: Das Finanzsystem könne kollabieren, "die Regierung müsste wohl ihre Banken verstaatlichen, die Abhebung von Spareinlagen beschränken und die Ausfuhr von Euro untersagen."

"Gibt es irgendwelche Optionen?"

Selbst wenn die Bevölkerung das Paket abschmettert: Griechenland kann nicht einfach aus dem Euroraum geworfen werden. Das verbieten die europäischen Verträge. Athen und die Eurozone könnten sich aber auf ein Ausscheiden einigen. Nach einem Austritt müsste Athen wieder seine alte Währung, die Drachme, einführen - und diese wohl drastisch abwerten. Da Griechenland einen großen Teil seiner Staatsschulden in Euro aufgenommen hat, würde deren Wert auf einmal stark steigen. Von der Abwertung der Drachme dürfte allerdings der Export des Landes profitieren.

Seit Papandreou die Referendums-Bombe am Montagabend platzen ließ, herrscht Nervosität in Europa. Die Aktienkurse rauschten in die Tiefe. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat überraschend ihren Flug zum G-20-Gipfel um einen Tag vorverlegt. Sie will sich bereits am Mittwoch mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Cannes treffen. Am Abend soll eine Konsultationsrunde mit den europäischen Institutionen und dem IWF stattfinden, um die neue Entwicklung zu besprechen. Sarkozy hat schon am Dienstag seine Minister zu einer Sondersitzung einberufen. Auch in der EU ist man offenbar in Schockstarre. Am Tag nach Papandreous Ansage kam aus Brüssel zunächst nur: Schweigen. Später hieße es dann knapp, man habe Papandreous Entscheidung "zur Kenntnis genommen". griechenland genieße dennoch vollstes Vertrauen.

Der Bankenverband schimpft: Die Planungen nach dem EU-Gipfel zur Griechenland-Hilfe vor einer Woche würden nun "schlimmstenfalls auf Eis gelegt". Die Ratingagentur Fitch sieht die Finanzstabilität in der Euro-Zone gefährdet und warnt vor der Ansteckung anderer Euro-Staaten - auch sie könnten das Vertrauen von Investoren in dramatischem Maße verlieren.

Der schwedische Außenminister Carl Bildt twitterte irritiert: "Ich verstehe wirklich nicht, worüber Griechenland abstimmen lassen will. Gibt es irgendwelche wirklichen Optionen?"

Papandreou setzt mit dem Kurswechsel auch seine eigene Zukunft aufs Spiel: Noch in dieser Woche will er die Vertrauensfrage im Parlament stellen, um die Abgeordneten seiner Partei hinter sich zu sammeln. Doch mindestens eine macht nicht mit: Nach der Ankündigung des Referendums trat die Abgeordnete Milena Apostolaki aus der sozialistischen Fraktion aus.

Die frühere Entwicklungsstaatssekretärin, ein führendes Mitglied von Papandreous Panhellenischer Sozialistischer Bewegung (Pasok), protestierte damit nach eigenen Worten gegen das geplante Referendum, das zur "Spaltung" Griechenlands führe. Damit schrumpft Papandreous ohnehin schon knappe Mehrheit auf 152 von insgesamt 300 Abgeordneten.

Auch zwei andere Pasok-Parlamentarier rebellieren gegen Papandreou: Eva Kaili und Vasso Papandreou sprachen sich für Neuwahlen und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit mit der Opposition aus. Es versteht sich von selbst, dass Pläne für ein Referendum sofort aufgegeben werden", heißt es in dem Schreiben.

Die Opposition in Deutschland zeigte Respekt vor Papandreous Entscheidung: SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier bezeichnete sie als riskanten, aber mutigen Weg.Für seinen Parteichef Sigmar Gabriel liegt nun alles an Papandreous Gegnern wie dem konservativen Samaras - und an Bundeskanzlerin Merkel: "Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten."

Was ein Nein der Griechen für den Euro bedeuten würde, ist noch nicht klar. Doch der einst so zugängliche Verhandlungspartner könnte bald keiner mehr sein: Denn für Papandreou geht es nun um alles oder nichts. Die Abstimmung ist sein Endspiel.

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