Süddeutsche Zeitung

Referendum in der Türkei:Berlin gegen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Türkei

  • "Wir halten den Abbruch der Gespräche für die völlig falsche Reaktion", sagt Außenminister Gabriel auf Malta.
  • Nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei vor etwa zwei Wochen waren die Forderungen nach einem Abbruch oder Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen noch einmal lauter geworden.
  • Die türkische Nation habe ihren Willen zum Ausdruck gebracht, den jeder respektieren müsse, sagt Erdoğan.

Die Bundesregierung ist nach Angaben von Außenminister Sigmar Gabriel strikt gegen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. "Wir halten den Abbruch der Gespräche für die völlig falsche Reaktion", sagte der SPD-Politiker bei einem Treffen mit EU-Kollegen auf Malta. Man habe kein Interesse daran, die Türkei "in Richtung Russland zu drängen".

Gabriel sprach sich allerdings dafür aus, auch neue Gesprächsformate zu suchen. Sie könnten nach Angaben aus Diplomatenkreisen notwendig sein, weil die eigentlichen EU-Beitrittsgespräche seit Monaten de facto auf Eis liegen.

Nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei vor etwa zwei Wochen waren die Forderungen nach einem Abbruch oder dem Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen noch einmal lauter geworden. Der geplante Staatsumbau könnte nach Einschätzung von EU-Experten die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz einschränken.

In Malta wollen die Außenminister der EU-Staaten erstmals darüber beraten, ob die EU aus dem Verfassungsreferendum Konsequenzen ziehen sollte. Nach der Abstimmung vor knapp zwei Wochen hatte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn angekündigt, "eine grundlegende Diskussion über die EU-Türkei-Beziehungen" zu beginnen, die zu einem späteren Zeitpunkt auch in einer möglichen Neubewertung enden könnte.

Mit Spannung wird in Malta vor allem das Zusammentreffen der EU-Minister mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erwartet. Er ist wie die Außenminister der anderen EU-Kandidatenländer zu einer Beratungsrunde eingeladen.

Erdoğan: EU darf Sieg bei Referendum nicht infrage stellen

Indessen warnt der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan die EU davor, seinen Sieg beim Verfassungsreferendum anzuzweifeln. "Wir können nicht einigen Institutionen und Staaten, darunter besonders der Europäischen Union, erlauben, über die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 16. April die Demokratie unseres Landes infrage zu stellen." Die türkische Nation habe ihren Willen zum Ausdruck gebracht, den jeder respektieren müsse.

Eine knappe Mehrheit hatte bei dem Referendum für die Einführung des von Erdoğan angestrebten Präsidialsystems gestimmt. Die Wahlkommission veröffentlichte am Donnerstagabend das amtliche Endergebnis des Referendums. Demnach stimmten 51,41 Prozent für das Präsidialsystem, 48,59 Prozent dagegen. Das Erdoğan-Lager kam also auf einen Vorsprung von 1,38 Millionen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 86,46 Prozent.

Die Opposition hatte von "Wahlbetrug" gesprochen und die Annullierung des Referendums verlangt. Auch die internationalen Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten Unregelmäßigkeiten und eine Benachteiligung der Opposition bemängelt.

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