Referendum:EU fordert von Ankara Überprüfung der Vorwürfe zum Referendum

Referendum: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan spricht nach dem Referendum zu seinen Anhängern.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan spricht nach dem Referendum zu seinen Anhängern.

(Foto: AP)
  • Die EU-Kommission fordert von Ankara, die Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten bei der Volksabstimmung am Sonntag untersuchen zu lassen.
  • Die türkische Oppositionspartei CHP hat offiziell die Annullierung des Referendums beantragt.
  • Deutsche Minister wollen auch nach dem Votum in der Türkei den Status des Landes als Nato-Mitglied und EU-Beitrittskandidat unangetastet lassen - es gibt allerdings eine rote Linie.

Die EU-Kommission hat die türkische Regierung zur Überprüfung der Vorwürfe von Unregelmäßigkeiten beim Verfassungsreferendum aufgefordert. Man rufe die Türkei auf, transparente Untersuchungen einzuleiten, sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas. Die türkische Regierung sollte ihre nächsten Schritte sehr sorgfältig setzen und versuchen, den größtmöglichen nationalen Konsens zu erreichen.

Die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Aussicht gestellte Wiedereinführung der Todesstrafe sei für die EU "die roteste aller Linien", sagte Schinas. Ein solcher Schritt wäre ein klares Signal, dass sich die Türkei von der europäischen Staatenfamilie entferne.

Die führende Oppositionspartei in der Türkei hat inzwischen einen konkreten Schritte gegen das Referendum unternommen. Die CHP reichte bei der hohen Wahlkommission einen Antrag auf Annullierung der Volksabstimmung ein, wie der Vizevorsitzende der Partei, Bülent Tezcan, in Ankara bekanntgab. Zur Begründung nannte er Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. Das Ergebnis des Referendums sei rechtswidrig, und die Partei werde alle juristischen Wege nutzen, dagegen vorzugehen, sagte Tezcan.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım rief hingegen die Opposition auf, das Ergebnis der Volksabstimmung zu respektieren. Die Menschen hätten sich für einen Wechsel von einem parlamentarischen zu einem Präsidialsystem ausgesprochen, sagte Yıldırım vor Abgeordneten der Regierungspartei AKP und fügte hinzu: Die "Opposition sollte nicht sprechen, nachdem das Volk gesprochen hat".

Schon am Wochenende waren Stimmen laut geworden, die von Wahlfälschungen sprachen. Es gebe den Verdacht, dass bis zu 2,5 Millionen Stimmen manipuliert worden seien, sagte die Menschenrechtssprecherin der Grünen, Alev Korun, am Dienstag im österreichischen Ö1-"Morgenjournal". Sie war für den Europarat als Wahlbeobachterin beim Referendum in der Türkei. Die Beschwerden der beanstandeten Stimmen hätten ein Ausmaß, das das Wahlergebnis drehen würde, sagte sie.

Neben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte auch die Türkische Anwaltskammer die Abstimmung kritisiert. Nach Ansicht der Kammer gab es bei der Wahl gravierende Gesetzesverstöße. Die kurzfristige Entscheidung der Wahlkommission, auch ungestempelte Wahlzettel zu akzeptieren, verstoße gegen das Gesetz und könnte den Wahlausgang beeinflusst haben, hieß es in einer Stellungnahme.

Nach dem vorläufigen Endergebnis der Wahlkommission hatte am Sonntag eine knappe Mehrheit der Türken - 51,4 Prozent - für die Verfassungsreform und die damit verbundene Einführung des Präsidialsystems gestimmt. Ein deutscher Wahlbeobachter berichtete aus den Kurdengebieten von einer "Atomosphäre massiver Bedrohung".

Die türkische Regierung verlängerte nach dem Referendum den Ausnahmezustand in dem Land um weitere drei Monate.

Bundesregierung hält an Türkei als Nato-Mitglied fest

Die Bundesregierung will trotz des Wahlausgangs weder mit ihrem Nato-Partner Türkei brechen, noch das Land aus dem Bündnis drängen. "Die Entwicklung in der Türkei macht es uns schwer, aber keiner sollte glauben, dass eine Türkei außerhalb der Nato einfacher ist im Umgang als eine Türkei in der Nato", sagte Bundesverteidigungsministeron Ursula von der Leyen der Bild-Zeitung.

Die Türkei werde aufgrund ihrer geografischen Lage immer Europas Nachbar bleiben. "In der Nato können wir mit der Türkei über unsere Vorstellungen einer demokratischen und offenen Gesellschaft intensiver diskutieren", sagte von der Leyen. Das sei gerade auch im Interesse der vielen Türken, die eine tiefergehende Spaltung ihres Landes verhindern wollten. Es sei jetzt vor allem an Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu zeigen, dass er in der Allianz ein verlässlicher Partner bleiben wolle. "Uns verbinden weiterhin gemeinsame Sicherheitsinteressen", fügte die Ministerin hinzu.

Ähnlich wie von der Leyen hatte sich am Montag bereits Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) geäußert. "Die Türkei bleibt ein großer Nachbar", sagte er der Bild-Zeitung. Selbst zur Zeit der Militärdiktatur Anfang der Achtzigerjahre habe man das Land nicht aus der Nato ausgeschlossen, um es nicht in die Hände der Sowjetunion zu treiben. "Und auch heute wollen wir die Türkei bei uns halten und nicht in die außenpolitische Isolation oder gar Richtung Russland drängen."

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte hingegen am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin", die Türkei sei kein verlässlicher Nato-Partner. Es sei fraglich, ob das Land seine Verpflichtungen als Bündnispartner noch erfüllen könne.

Debatte um Status als EU-Beitrittskandidat

Zur Frage der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara sagte Özdemir, diese lägen ohnehin auf Eis. "Man sollte sie ganz hinten in den Schrank schieben", forderte er. Als klar inakzeptablen Schritt nannte er die von Präsident Erdoğan angekündigte Wiedereinführung der Todesstrafe. Wenn die Türkei das umsetze, sei dies das Ende der Beitrittsverhandlungen, und dann fliege das Land auch aus dem Europarat, sagte Özdemir.

Auch Gabriel will die Beitrittsverhandlungen vorerst nicht abbrechen, wie das am Montag mehrere Europa-Politiker gefordert hatten. Entscheidungen dazu stünden für längere Zeit noch gar nicht an, sagte der Außenminister dazu. "Die Türkei sollte sich nicht noch weiter von Europa entfernen, schon in ihrem eigenen Interesse." Auch er bekräftigte aber die rote Linie der Bundesregierung, nach der die Beitrittsverhandlungen bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe abgebrochen werden müssten. Das wäre für die Türkei "gleichbedeutend mit dem Ende des Traums von Europa".

Mit der Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen ist auch die Zahlung von EU-Fördermitteln in Milliardenhöhe verbunden, die zum großen Teil aus der deutschen Staatskasse kommen. Vor allem deshalb ist die Weiterführung der Gespräche umstritten. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu betonte demgegenüber bei der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, dass die EU-Mitgliedschaft trotz aller derzeitigen Probleme "eine Priorität" für die Türkei bleibe.

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