Rede zur Sicherheitspolitik:Obama ringt mit der Moral

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Grundsatzrede des US-Präsidenten: Barack Obama (Foto: AP)

Der US-Präsident kämpft um seine Haltung. Barack Obama erklärt der Welt, warum die USA Menschen per Fernsteuerung töten - und kann die entscheidenden Widersprüche doch nicht auflösen. Immerhin: Seine Sicherheitsstrategie sieht strengere Regeln für Drohnenangriffe und einen neuen Anlauf zur Guantanamo-Schließung vor. Vor allem aber beendet sie die Bush'sche Variante des "Krieges gegen den Terror".

Von Johannes Kuhn

Der "Krieg gegen den Terrorismus" ist noch nicht zu Ende, doch 4272 Tage nach dem 11. September 2001 wird er ein anderer sein. "Keine Nation kann ihre Freiheit in einer Zeit des ständigen Kriegszustands bewahren", zitierte US-Präsident Barack Obama Gründervater James Madison, um damit die künftige Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten zu begründen: "Wir müssen den Charakter und den Umfang dieses Kampfes bestimmen, sonst bestimmt er uns."

Lange, vielleicht zu lange hat Obama über viele Fragen seiner Anti-Terror-Strategie geschwiegen. Warum und wie setzen die USA Drohnen ein, um in Ländern wie Afghanistan, Pakistan oder dem Jemen mutmaßliche Terroristen zu töten? Was passiert mit dem Gefangenenlager Guantanamo Bay, jenem Mahnmal amerikanischer Exzesse seit 2001? Und welche konkrete Bedrohung haben die USA seit dem Tod Osama bin Ladens und weiterer zentraler Al-Qaida-Kämpfer zu fürchten?

In der National Defense University von Washington beantwortete Obama diese Fragen nicht nur, er brach sein Schweigen mit aller Macht. Die wichtigsten Punkte seiner mehr als 70-minütigen Rede:

  • Neudefinition terroristischer Bedrohungen: "Weder ich, noch irgendein Präsident kann den absoluten Sieg über den Terror versprechen", erklärte Obama. Dennoch sei zumindest al-Qaida in Ländern wie Pakistan und Afghanistan entkernt, gleichzeitig jedoch als ideologische Dachmarke für Extremisten in Teilen Afrikas und der arabischen Welt weiterhin präsent. Amerikanische diplomatische Einrichtungen (Attacke auf das Konsulat im libyschen Bengasi) sind in einigen Ländern ebenso bedroht wie internationale Unternehmen (Geiselnahme in der algerischen Öl- und Gasanlage In Aménas) - dies sei aber bereits in den Neunzigern der Fall gewesen. Inzwischen, so machte Obama klar, würden aber nicht zuletzt "radikalisierte Menschen" in den USA selbst eine Gefahr darstellen. Der Anti-Terror-Krieg, so die Botschaft, ist inzwischen also eher eine Aufgabe von Geheimdiensten als des Militärs, weshalb der Kongress nach Obamas Willen die weitreichenden Militärrechte, die sich George W. Bush nach 9/11 geben ließ, nicht erneuern soll
  • Ein Rahmen für den Drohnenkrieg: "Effektiv" und "legal" sei das, was der Welt als Amerikas Drohnenkrieg bekannt ist und Schätzungen zufolge in den vergangenen zehn Jahren 3000 Menschen getötet hat, darunter viele Zivilisten. "Um es einfach auszudrücken: Diese Angriffe haben Leben gerettet." So offen wie noch nie verteidigte Obama die Vorteile des Drohneneinsatzes gegenüber der Entsendung herkömmlicher Truppen, kündigte aber gleichzeitig an, den Rahmen enger zu ziehen: Eine neue - geheime - Direktive solle sicherstellen, dass es "klare Richtlinien, Überprüfungen und Rechenschaftspflichten" gibt. Die Tötung mutmaßlicher Terroristen durch Drohnen soll nur noch erlaubt werden, wenn eine "imminente" Gefahr für Amerikaner bestehe und der Verdächtige nicht lebendig gefasst werden könne. Eine Voraussetzung soll eine "fast vollständige Sicherheit, dass Zivilisten nicht verletzt oder getötet werden" sein, wie es in einer Mitteilung des Weißen Hauses heißt. Die genannten Kriterien lassen der Regierung allerdings weiterhin Spiel- und Interpretationsraum, eine unabhängige Genehmigungsinstanz lehnt der US-Präsident ab; zudem erwähnte er mit keinem Wort die "signature strikes", bei denen Menschen aufgrund verdächtigen Verhaltens als Terroristen identifiziert werden. Auch über die zuvor aus dem Weißen Haus angedeutete Übertragung der Drohnenprogramm-Verantwortung vom Geheimdienst CIA an das Pentagon verlor Obama kein Wort. Am Mittwoch hatte das Weiße Haus erstmals bestätigt, insgesamt vier Amerikaner bei Drohnenangriffen im Ausland getötet zu haben, drei davon versehentlich.
  • Guantanamo - der nächste Versuch: 166 Gefangene befinden sich noch im Militärgefängnis auf Guantanamo Bay, mehr als die Hälfte befindet sich derzeit im Hungerstreik, um gegen die aussichtslose Situation zu protestieren - während der Rede unterbrach auch eine Aktivistin im Saal Obama, um ihn unter anderem lautstark zur Schließung aufzufordern. Die zu Beginn seiner Amtszeit angekündigte Schließung will Obama nun erneut angehen: Der vakante Posten eines Verantwortlichen für die Rückführung der 86 Gefangenen, die von allen Vorwürfen entlastet wurden, soll neu besetzt werden. Die 56 Häftlinge aus Jemen, die bislang nicht in ihr Land zurückkehren konnten, weil die USA fürchten, dass sie sich dort Terrorgruppen anschließen und das Land destabilisieren, sollen nun doch ausgeflogen werden. Zudem soll das Verteidigungsministerium die Militärtribunale auf amerikanischen Boden verlegen. Für eine endgültige Schließung müsste der Kongress allerdings die Mittel genehmigen - obwohl es danach derzeit nicht aussieht, will die US-Regierung hier neue Gespräche suchen.

"Unser Sieg gegen den Terrorismus wird nicht in Kapitulationszeremonien auf einem Kriegsschiff gemessen", erklärte der US-Präsident gegen Ende seiner Rede in Anspielung auf die Irakkrieg-Siegesfeier seines Amtsvorgängers George W. Bush. Es war ein letzter kleiner Stich gegen den Amtsvorgänger. Wie im Falle Afghanistans ist nun auch die Bekämpfung des Terrorismus Obamas Krieg geworden.

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