Rede in Köln:Kumpel Erdoğan hat alles im Griff

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Erdoğan in der Köln-Arena. (Foto: Getty Images)

Erdoğan provoziert, er schimpft, er spottet: Bei seiner umstrittenen Rede in Köln zeigt sich, dass der türkische Ministerpräsident die Kritik von außen braucht. Für rhetorische Spielchen - und den Erhalt seiner Macht.

Von Bernd Dörries, Köln

Man hatte sich von Recep Tayyip Erdoğan ja vieles erwartet bei seinem Auftritt in Köln, seine Kritiker warnten vor Provokation, seine Anhänger freuten sich darauf. Erdoğan hat beide Seiten nicht enttäuscht am Samstagabend. Und er hat sogar jene erfreut, die sich schon lange gefragt haben, wie es eigentlich um den Zustand der türkischen Wälder bestellt ist. Sehr gut sei der, sagt Erdoğan in der Kölner Lanxess-Arena: "In meiner Amtszeit wurden drei Milliarden-Setzlinge gepflanzt." Man kann sagen, dass dieser Aspekt bei der Beurteilung des türkischen Ministerpräsidenten bisher zu kurz gekommen ist.

Eine gute Stunde hat Erdoğan am Samstag gesprochen in der Kölner Arena, kaum eine Rede hat in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit erregt. Alle möglichen Politiker hatten sich zu Wort gemeldet und gesagt, Erdoğan solle lieber daheim bleiben, solle nicht hier Wahlkampf machen während in der Türkei noch die Witwen des Bergwerkunglückes um ihre Männer trauern. Diejenigen, die Erdoğan das Wort verbieten wollten, waren nicht selten die selben, die ihn wegen des Verbotes von Twitter und Facebook kritisierten. Kölns Oberbürgermeister Jürgen Rotes legte ihm zuletzt im Tagesrythmus ein anderes Reiseziel nahe.

15 000 Menschen im Saal, unzählige Erdoğan-Fanartikel

Erdoğan mag das geärgert haben, aber seine Kölner Rede zeigt auch, wie sehr er das braucht, die Kritik von außen - für sein rhetorisches Prinzip, für den Machterhalt. Sagen seine Gegner, er zerstöre den Gezi-Park, dann kontert Erdoğan mit seinen drei Milliarden Setzlingen. Es ist das alte Spiel: Wir gegen sie. Ständig ist von "Kreisen" die Rede, von der "arroganten Elite", die versuchen würden, ihn von der Macht zu entfernen, ihn, der das Land doch befreit habe aus einem Tal der Tränen, ihm seinen Stolz zurückgab und ein ordentliches Wirtschaftswachstum obendrauf.

Erdoğan in Deutschland
:Köln im Ausnahmezustand

"Stoppt den Diktator Erdoğan" steht auf den Plakaten. Und: "Du Mörder". Zehntausende Gegner wie Anhänger des türkischen Regierungschefs demonstrieren in Köln. Am Abend hält Erdoğan dort eine Rede vor seinen Landsleuten. Und die Stadt wird der Massen kaum Herr.

"Die Türkei ist nicht mehr dieselbe", sagt Erdoğan. Er zählt die Kennwerte auf. Deutsches Wirtschaftswachstum: 0,8 Prozent, türkisches: etwa vier. Der Saal tobt, es werden türkische Flaggen geschwenkt, viele der 15 000 Menschen tragen Erdoğan-T-Shirts und Schals. Manche haben einen Teppich dabei mit dem Gesicht des Ministerpräsidenten.

Erdoğan hat in den vergangenen Jahren immer wieder in Deutschland und speziell in Nordrhein-Westfalen vorbeigeschaut um seine Landsleute zu besuchen, 1,5 Millionen sind es, die bei der nächsten Präsidentschaftswahl im August stimmberechtigt sind. In der Kölner Innenstadt demonstrierten etwa 30 000 Deutsch-Türken gegen ihn. Wahlkampf sei der Kölner Auftritt aber nicht, sagen seine Unterstützer am Samstagabend, offizieller Anlass war das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETP), die so etwas ist wie die Auslandsorganisation der Regierungspartei AKP.

Der Saal buht, jubelt, tobt

Letztlich geht es aber nur um Erdoğan, so sehr, dass der Regierungschef anfängt, von sich in der dritten Person zu sprechen als er auf das Bergwerksunglück in Soma zu sprechen kommt: "Erdoğan weiß, wie die Luft in einem Bergwerk ist, ich war in den Minen, wir haben Kohle gefördert", sagt er. Erdoğan der Kumpel, Erdoğan der Mann des Waldes. Ein Mann, der sich um alles kümmert.

Auch an den deutschen Journalismus hat er noch ein paar Hinweise: "Teile der Medien haben versucht, das Soma-Unglück für sich auszunutzen und Gewinne für sich zu erzielen und die Türkei zu beschimpfen", sagt Erdoğan. Er sei aber nicht nachhaltig böse, die Medien in der Türkei seien teilweise noch viel schlimmer.

Und auch für die Bundeskanzlerin hatte er noch ein paar freundliche Worte. "Ich habe mit Angela Merkel telefoniert", sagt Erdoğan. Der Saal fängt an zu buhen und Erdoğan lässt es zu. Nach einer längeren Kunstpause fügt er hinzu: "Ich möchte mich bei Frau Merkel und allen deutschen Behörden bedanken." Und meint damit die angebotene Hilfe nach dem Bergwerksunglück. Der Saal schaltet von Buhen auf Jubel um. Erdoğan hat ihn fest im Griff.

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