Süddeutsche Zeitung

Rede des ehemaligen Bundespräsidenten:Wulff ist wieder da

Er fiel tief, seine Gesichtszüge waren ausgezehrt - und dann waren da noch die Gerüchte über seine Frau. Christian Wulff hätte seinen ersten größeren Auftritt nach dem Rücktritt nutzen können, um sich zu verteidigen. Doch es kam ganz anders.

Max Hägler, Heidelberg

Die Fragen liegen auf der Hand an diesem Abend: Was für ein Mensch wird da sprechen, ein gebrochener oder einer, der sich wieder gefunden hat? Zehn Monate ist es her, dass Christian Wulff zurückgetreten ist als Bundespräsident. Selbst gestolpert, aus dem Amt gejagt - wie man es auch sieht, schön war es nicht für ihn. Ein Mensch, der tief gefallen ist, von dem man zuletzt die ausgezehrten Gesichtszüge wahrgenommen hat und die vielen Vorwürfe der Staatsanwälte gegen ihn und die Gerüchte über seine Frau. Der CDU-Politiker könnte den Abend an der Universität Heidelberg nutzen, um sich zu verteidigen. Diesen ersten größeren öffentlichen Auftritt nach dem Rücktritt im Februar.

Es wird ganz anders. In der holzgetäfelten Alten Aula spricht ein Mann mit gesunder Gesichtsfarbe, der erkennbar ein Thema gefunden hat: Das Werben für ein Miteinander der Kulturen, der Religionen in Deutschland. Wobei es natürlich ein Wiederfinden ist, ein Anknüpfen. Von seiner relativ kurzen Zeit als Staatsoberhaupt ist von Wulff vor allem dieser eine Satz im Gedächtnis: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."

Reise mit den Hörern

Dieses Werben für einen Dialog sei der Grund gewesen, wieso man Wulff eingeladen habe, sagt Johannes Heil, Rektor der Hochschule für jüdische Studien. Die Einladung sei übrigens nicht an das Amt gebunden. Wulff schmunzelt. Eine Reise wolle er machen mit den Hörern, sagt er dann mit fester Stimme, oft in freier Rede, eine Reise zu einem neuen "Wir" in Deutschland. Beim Fußball, in den Momenten mit Mesut Özil und Jérôme Boateng, da würden alle Deutschen die Fahnen schwingen, sonst aber sei da oft die Rede von "die" und "ihr". Schade sei es, dass es noch keinen besseren Begriff gebe als "Menschen mit Migrationshintergrund".

Und schade, ja diskriminierend, sei es auch, dass dazu immer nur Bilder von kopftuchtragenden Frauen in Einkaufsstraßen gezeigen würden. Auch die Affäre um die Morde des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrunds, zeige, dass die Menschen von einem Nebeneinander zu einem "wirklichen, empathischen Miteinander" kommen müssten. Als die rechtsextremen Täter noch nicht gefunden waren, da habe auch er gedacht, es könnte ein Konflikt unter Türken sein, sagt Wulff. "Zutiefst beschämt" hätten ihn später diese Überlegungen - und gezeigt, dass da noch zu wenig Vertrauen da sei.

Darum will er wohl auch weiter werben. Er sei ja ein "verhältnismäßig junger Alt-Präsident", kokettiert er mit dem braven Publikum. Deswegen könne und wolle er auch die Frage einer Zuhörerin zu seiner Haltung zum Betreuungsgeld im Kontext der Zuwanderung nicht beantworten. Tagesaktuelle Einmischungen würden die Wirkung nehmen, "die man haben kann". Und wieder schmunzelt er ganz leicht, der Alt-Präsident, der sich da "mitfühlender Vater zweier Kinder" nennt.

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SZ vom 22.11.2012/fzg
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