Süddeutsche Zeitung

Rechtsterrorismus:Merkels Versprechen in Sachen NSU ist ziemlich leer geblieben

  • Nach fünf Jahren stellt der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag seine Arbeit ein. Die rechtsextremistische Terrorserie ist längst nicht aufgeklärt.
  • Der Ausschuss wirft den Ermittlern zahlreiche Fehler vor - unter anderem, sich zu früh auf das Trio Zschäpe-Böhnhardt-Mundlos fokussiert zu haben.
  • Auch der Verfassungsschutz hat sich demnach schwere Versäumnisse zuschulden kommen lassen.

Von Stefan Braun, Berlin

Carl Morck ist kein gewöhnlicher Polizist. Er ist ein eigenwilliger Ermittler; er nimmt sich außergewöhnlicher Fälle an, mit skurrilen Methoden, großer Hartnäckigkeit und überraschenden Erfolgen. Morck kümmert sich um Verbrechen, deren Aufklärung seine Kollegen schon aufgegeben haben. Sogenannte cold cases also, kalte Fälle. Morck ist nur kein normaler Polizist, sondern eine Krimifigur des dänischen Autors Jussi Adler-Olsen.

Nun könnte man sagen: Na und? Was hat das mit der Berliner Politik zu tun? Doch wer sich die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses ansieht, stößt dieser Tage auf gestandene Bundestagsabgeordnete, die sich einen Carl Morck herbeiwünschen. Einen, der nicht aufgibt und nicht lockerlässt. Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, selbst Polizist, hat die Idee ins Spiel gebracht. Auf die Frage, was er sich als CDU-Obmann zum Abschluss des Ausschusses wünsche, antwortete Schuster: "Ich hoffe auf Jussi Adler-Olsen und einen cold case." Anders ausgedrückt: Schuster und Kollegen setzen darauf, dass mit ihrer Arbeit nicht alle Recherchen enden.

Merkels Versprechen umfassender Aufklärung ist leer geblieben

Damit ist ihre wichtigste Botschaft beschrieben: Viele Fragen sind bis heute offen geblieben. Das lässt laut Ausschuss nur einen Schluss zu: dass die rechtsextreme Terrorserie mit zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Banküberfällen auch bald sechs Jahre nach ihrer Aufdeckung noch lange nicht aufgeklärt ist. Für Angela Merkel ist das keine gute Nachricht. Ihr Versprechen, man werde alles umfassend aufklären, ist bis heute ein ziemlich leeres Versprechen geblieben.

Der wichtigste Grund dafür ist die mühsame Arbeit, dem Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe die Taten bis ins Detail nachzuweisen. Bis heute sind an keinem einzigen Tatort DNA-Spuren von einem der drei gefunden worden. Entsprechend schwer ist die Aufgabe, der sich zuallererst das Oberlandesgericht in München widmet, wo Zschäpe vor Gericht steht. Andererseits plagt den NSU-Ausschussvorsitzenden Clemens Binninger (CDU) und seine Kollegen das Gefühl, dass das Trio Helfer gehabt haben muss, die noch heute frei herumlaufen, weil man sie nicht entschlossen genug gesucht hat. Binninger sagt nach 28 öffentlichen, elf nicht öffentlichen und elf als geheim eingestuften Sitzungen: "Die Zweifel an der Trio-Theorie sind nicht kleiner geworden."

Der Vorwurf gilt vor allem dem Generalbundesanwalt und den ermittelnden Behörden: Sie alle hätten zwar unendlich fleißig gearbeitet und großen Einsatz gezeigt, aber sich dabei viel zu früh auf das Trio als einzige Täter festgelegt. In ihrem Votum schreibt die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic, statt Strukturen und Netzwerke um die Terrorgruppe NSU herum systematisch zu untersuchen, habe man die drei Personen isoliert betrachtet. So sei man deren Prinzip auf den Leim gegangen, nachdem sich kleine Zellen isolieren, um das "große Ganze" nicht zu gefährden. Diese "künstliche Verengung" habe dazu geführt, dass "Rechtsextremismus als singuläres Randphänomen betrachtet wird"; die dahinter liegende Struktur, "aus der sich immer neue Zellen nähren und rekrutieren", werde ausgeblendet. Für Mihalic ein schweres Versäumnis. Eines, das sie und alle anderen nachdrücklich kritisieren.

Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter bleibt ungelöst

Kritik gibt es auch im Detail und bei der Aufarbeitung einzelner Taten. So bleibt der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn ein Rätsel. Zweifel am Verhalten der Behörden hat laut Binninger vor allem die Tatsache ausgelöst, dass nie der Versuch unternommen wurde, DNA-Spuren zu nehmen von jenen etwa 100 Personen aus dem rechtsextremen Milieu, die bis heute im Verdacht stehen, Kontakt zum Trio gehabt zu haben. Und das, obwohl an den Jacken von Kiesewetter und ihrem verletzten Kollegen DNA-Spuren gefunden wurden, die man niemandem zuordnen konnte. Warum dieses Versäumnis? Ausschuss-Antwort: Schulterzucken.

Dramatische Versäumnisse, sogar absichtliche Vertuschung werfen vor allem Grüne und Linke dem Verfassungsschutz vor. Dass ein Referatsleiter kurz nach Auffliegen des Trios zahlreiche Akten von V-Leuten des Amtes aus der rechten Szene schredderte, gilt nicht mehr als Unfall, sondern als absichtliche Zerstörung von Beweismaterial. Hinzu kommen katastrophale Fehler im Umgang mit V-Leuten, die der Ausschuss offenlegte: So rekrutierte das Amt auch Gewalttäter, ohne Rücksicht auf die Folgen; es unterstützte deren Propagandaarbeit, auch mit Finanzmitteln. Und es zwang manchen, die Spitzelarbeit fortzusetzen, obwohl er aussteigen wollte. Die Konsequenz: Die Linkspartei will den Verfassungsschutz abschaffen; die Grünen sind zurückhaltender und plädieren für eine Art Neugründung. In einem aber sind sie sich auch mit Union und SPD einig: Die Geschichte des NSU ist eine unendliche Geschichte geworden.

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SZ vom 29.06.2017/ees
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