Am weitesten ging dabei die US-Regierung. Die Fahndungs-, Justiz- und Einwanderungsbehörden, so hatte es US-Justizminister John Ashcroft alsbald nach den Terroranschlägen angekündigt, wurden "mobilisiert und unter Kriegsbedingungen reorganisiert".
Wer in den Dunstkreis des Terrorismus geriet, wurde nahezu vogelfrei: Acht, Bann und Rechtlosigkeit für verdächtige Ausländer. Gegen Terroristen und vermeintliche Terroristen wurde ein Sonderrecht geschaffen, das mit dem Recht für die normalen Bürger nichts mehr zu tun hat. Dieses Sonderrecht praktiziert oder akzeptiert die Folter, es trachtet nach Inhaftierung ohne konkreten Schuldnachweis, also aufgrund angenommener Gefährlichkeit. Es verkehrt die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil. Es ist ein Feindrecht. Und wer ist Feind? Das bestimmt die Definitionsmacht der herrschenden Politik.
Die amerikanische Denkungsart färbte auf die deutsche Rechtswissenschaft ab. "Wer sich dauernd wie der Satan aufführt, den kann man nicht als Rechtsperson behandeln", schrieb der Bonner Strafrechtler Günther Jakobs 2004 in einem Vortrag über "Staatliche Strafe". Solchen Leute wird also das Recht, Rechte zu haben, abgesprochen. Auf diese Weise wird vom normalen Strafrecht ein Feindstrafrecht abgespalten. Und das verbleibende normale Strafrecht verwandelt sich in ein Gefahrenvorbeugungsrecht: Je größer die Gefahr ist oder je größer sie erscheint, umso einschneidender werden die Maßnahmen, die, auch gegen völlig Unverdächtige, ergriffen werden, um so, angeblich, die Gefahr zu bannen oder zu minimieren. Das führt zu immer umfassenderer Überwachung und Kontrolle.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat sich dem Geist dieser neuen Sicherheitsgesetze und dessen Konkretionen in einer beeindruckenden Serie von Entscheidungen entgegengestellt: Glasklar sind die Darlegungen in der Entscheidung zur Rasterfahndung im Jahr 2006: Die Richter wollten es nicht dulden, dass der Gesetzgeber seit dem 11. September die rechtlichen Hürden für den Zugriff auf den Bürger immer niedriger gemacht hat.
Je böser der Feind, desto geringer die rechtsstaatlichen Skrupel
Die höchsten Richter verwarfen den Satz, den Politik und Gesetzgebung zum neuen Kernsatz der inneren Sicherheit gemacht haben; er heißt: Je böser der Feind, desto geringer die rechtsstaatlichen Skrupel. Das Verfassungsgericht setzte an dessen Stelle einen rechtsstaatlichen Merksatz: "Daran, dass er auch den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden Grundsätzen unterwirft, zeigt sich gerade die Kraft des Rechtsstaats."
Das war wohl auch die Antwort auf Schilys Satz vom Tod, den die Terroristen haben könnten. Anders gesagt: Ein Staat, der im Irrglauben, auf diese Weise den Rechtsstaat zu verteidigen, das Recht verkürzt, ist nicht stark, sondern schwach. Ähnlich das Fazit des Karlsruher Urteils gegen das Luftsicherheitsgesetz, das die Rechtsgrundlage dafür sein sollte, entführte Flugzeuge samt Besatzung und Passagieren von der Bundeswehr abschießen zu lassen: Bei der Verteidigung des Rechts gegen den Terror darf, so die Richter, das Recht dem Terror nicht geopfert werden.
Fast alle Verfassungsgerichte der westlichen Staaten waren in den vergangenen zehn Jahren ein Ort des Widerstands gegen den politischen Verzehr der Bürgerrechte - das Bundesverfassungsgericht zuvorderst. Es hat in seinen Entscheidungen den Ausverkauf rechtsstaatlicher Grundsätze zu verhindern versucht und seinem Beruf, Hüter der Verfassung zu sein, alle Ehre gemacht. Dessen wird es sich demnächst, beim sechzigsten Jubiläum, besonders rühmen dürfen. Es stimmt, was der Altliberale und frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) sagt: Der Bürger hat Anspruch auf ein Parlament und eine Regierung, die dieselbe Nervenstärke und dasselbe Rechtsbewusstsein haben wie die Richter in Karlsruhe; und dazu den gleichen selbstbewussten Stolz auf die rechtsstaatliche Ordnung und den festen Willen zu ihrer Verteidigung.
Die Sicherheitsapparate eines Polizeistaates dürfen alles, was sie können. Die Sicherheitsapparate eines Rechtsstaates können alles, was sie dürfen. Sie dürfen und können ziemlich viel, aber das hat eine Grenze. Das war vor dem 11. September 2001 so, und dass muss auch danach so bleiben.