Süddeutsche Zeitung

Rechtsradikale:Rechtsextremisten, die sich als Biedermänner inszenieren

Rechte Gewalttäter tun vor Gericht oft so, als gehörten sie zur Mitte der Gesellschaft. Dahinter steckt eine Strategie.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Sie hat die inzwischen verbotene Rechtsrockorganisation Blood & Honour mitbegründet, sie hat Skinheadkonzerte organisiert, auf denen der Rassenhass bejubelt wurde. Vor Gericht erklärt die Erzieherin aus Sachsen, sie habe das nur aus Liebe zur Musik getan. Außerdem habe sie gehofft, mit den anderen Skinheads mal einen Familienausflug machen zu können.

Ein anderer hat in Niedersachsen einen Molotowcocktail ins Kinderzimmer eines Flüchtlingsheims geworfen, seine Gruppe bei Whatsapp trug den Namen "Garage Hakenkreuz". Doch er selbst hält sich für einen ordentlichen Bürger und seine Familie sagt, so wie er denke "jeder dritte oder vierte Deutsche".

Auch der Mann, der einen Tag vor der Wahl in Köln die Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker niederstach, fühlt sich nicht als Rechtsradikaler. Der Angeklagte, der wegen versuchten Mordes heute wieder vor Gericht steht, nennt sich selbst einen "wertkonservativen Rebellen".

Molotowcocktails sollen Mainstream, Skinheadkonzerte familientauglich sein? Und ein Messerangriff konservativ? So einfach ist es nicht. Das alles sind nicht nur sehr schlechte Witze. Diese Witze stehen für mehr: für die Banalisierung des Bösen, die Verharmlosung von Gewalt, für die Eroberung der Mitte durch Radikale.

Der Attentäter von Reker sieht sich als konservativen Rebellen

Die Extremisten versuchen, ihre Übergriffe schönzureden. Sie als Ausrutscher darzustellen oder als Überreaktion von Menschen, die besorgt sind über die Zustände. Oft gelingt ihnen diese Verharmlosung auch. Da wird aus einem Kult für Rassenhass ein etwas schräges Freizeitvergnügen: Wie sonst ist es möglich, dass Polizisten, die beim Ku-Klux-Klan waren, mit der Ausrede durchkommen, sie hätten dort nur Frauen kennenlernen wollen. Die Polizisten tun weiter Dienst. Und das nicht in Sachsen, sondern in Baden-Württemberg.

Konfliktforscher haben ermittelt, dass Leute, die sich vor ein paar Jahren noch für rechts hielten, sich nun in der Mitte wähnen - ihre menschenfeindliche Haltung haben sie in die Mitte mitgenommen. Bisher unterschieden sich Rechtspopulisten von Rechtsextremisten per Definition dadurch, dass sie Gewalt ablehnten. Diese Grenze löst sich auf. Brave Bürger schlagen zwar nicht selbst zu, damit sie nicht das Gesicht der Anständigkeit verlieren. Aber sie sind freundliche Zuseher, wenn Gewalt ausgeübt wird.

Rechte Provokationen gibt es überall, vielerorts wehrt man sich, auch aus Ermüdung, kaum mehr dagegen. Wie man im Osten Deutschlands beobachten kann, werden Übergriffe ein lästiger Teil des Alltags; sie werden zwar nicht akzeptiert, aber sie sind auch nicht mehr wichtig genug, um sich jedes Mal darüber aufzuregen. Sie werden zur Normalität. Wie man Grenzen auflöst, hat auch die AfD-Vorstandsfrau Beatrix von Storch gezeigt. Per E-Mail erklärt sie, dass man an den Grenzen auf Frauen und Kinder schießen könne; später behauptete sie, ihr sei nur der Finger von der Computermaus abgerutscht. So hat sie es nie gesagt, und die Botschaft ist trotzdem in der Welt.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2016/bepe
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