Süddeutsche Zeitung

Rechtspopulisten in Skandinavien:Wo Westergaard zu Hause ist

Der Karikaturist und sein Biotop: Die Rechtspopulisten prägen Skandinavien, fremdenfeindliches Gedankengut ist weitverbreitet. Das könnte sich bei der Reichstagswahl in Schweden wieder zeigen.

Bernd Henningsen

Bernd Henningsen ist Professor für Skandinavistik an der Humboldt-Universität Berlin. Er gilt als der führende Vertreter seines Fachs in Deutschland und lehrt auch an der Universität Kopenhagen.

Muss eigentlich jeder Unfug, der einem so im Leben einfällt, unter den Schutz der Meinungsfreiheit gestellt werden? Ja, sagen die bestallten Meinungsmacher, die mit ihrer Meinung Geld verdienen müssen. Ja, sagen Angela Merkel und Joachim Gauck, anlässlich der Potsdamer Preisverleihung an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard. Kunst oder Nicht-Kunst, schön oder hässlich, klug oder dumm: Was zählt, ist allein das hohe Gut der Meinungsfreiheit: Alles muss raus.

Wäre es in diesen Sarrazin-Zeiten und der angedrohten Koran-Verbrennungen nicht angebracht, nicht nur die hohen Güter anzuschauen, sondern auch die einzelnen Fälle zu inspizieren? Geht es nicht auch etwas differenzierter? Was hat das Dänemark von heute mit der Situation in der DDR vor 20 Jahren zu tun? Wieso kann ein Karikaturist und politisch naiver Mensch im säkularisierten Europa zu einem Märtyrer werden? Welche Auswirkungen hat der Meinungsfreiheits-Fundamentalismus auf die politische Kultur, vielleicht auch die in anderen Ländern und Milieus?

Um die Presse- und Meinungsfreiheit ist es mit dieser Ehrung um keinen Deut besser geworden. Im Gegenteil: Jyllands- Posten, die größte unter den für seriös gehaltenen dänischen Tageszeitungen, ist das eifrigste Medium, wenn es um die Verbreitung jenes fremdenfeindlichen Gedankengutes geht, für das in Dänemark die Dänische Volkspartei mit ihrer Anführerin Pia Kjærsgaard steht. Die Partei liegt heute bei 15 Prozent, ist nicht an der Regierung beteiligt, bestimmt aber deren Richtlinien.

Eine Ehrung von Kurt Westergaard ist eine Ehrung für Jyllands-Posten, ist eine Ehrung für die Dänische Volkspartei, ist eine Ehrung für das xenophobische Milieu in Dänemark und Skandinavien. Kann sein, dass eine solche rechtspopulistische Bewegung nach der schwedischen Reichstagswahl am kommenden Sonntag auch die Politik dort bestimmen wird. In Norwegen sind die Rechtspopulisten zweitstärkste Fraktion im Parlament. Auf kommunaler Ebene bestimmen sie in allen skandinavischen Ländern bereits seit Jahren die Politik mit.

Anders als in Dänemark sind die radikalen Rechtspopulisten in Norwegen und Schweden von den anderen Parteien geächtet, sie kommen als Koalitionspartner nicht in Betracht. Das kann sich nun in Schweden ändern, die "Schwedendemokraten" könnten zum Zünglein an der Waage werden und die bürgerliche Allianz an der Macht halten. Bislang sind die Reichstagsparteien in ihrer Ablehnung einer Zusammenarbeit mit den populistischen Schmuddelkindern rigoros. Sie gehen mit ihnen derart strikt um, dass die Bannerträger der Meinungsfreiheit in (ausgerechnet!) Dänemark - nämlich die Liberalen und die Konservativen, die Volkspartei sowieso - bereits nach einer europäischen Wahlbeobachtungskommission gerufen haben, da sie die Demokratie in Schweden in Gefahr sehen.

Selbst den österreichischen Haider-Liberalen war die Politik der Dänischen Volkspartei zu abstoßend, sie wollten mit ihnen nichts zu tun haben, auf der europäischen Ebene sind sie isoliert. In Dänemark sind der Rechtspopulismus und die Fremdenfeindlichkeit im politischen Milieu dagegen längst für stubenrein erklärt worden. Jyllands-Posten verbreitet bis zum heutigen Tag, dass die Meinungsfreiheit in Dänemark bedroht, wenn nicht gar eingeschränkt sei. Der Ausgangspunkt des Karikaturen-Streites vor fünf Jahren war, dass sich im Lande niemand fand, der ein Buch mit Islam- und Mohammed-Illustrationen schmücken wollte. Das Blatt forderte daraufhin etwa 40 Karikaturisten auf, sich mit dem Propheten zu beschäftigen; zwölf stimmten zu, ihre Bilder wurden 2005 veröffentlicht. Der darauffolgende weltweite Protest hat bis Anfang 2006 insgesamt 139 Menschen das Leben gekostet, Botschaften gingen in Flammen auf, die dänische Industrie erlitt Millionenverluste in den arabischen Ländern.

Kurt Westergaard freute sich später über die weltweite Aufmerksamkeit, was könne einem Karikaturisten Besseres passieren. Es sei ihm zugestanden, dass er den Blutzoll nicht gemeint hat. Was man ihm aber nicht nachsehen kann, ist seine politische Naivität, deretwegen man eher Distanz zu ihm halten sollte als ihn ehren: Er macht bis heute keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus, für ihn ist der Islam reaktionär. Er scheint sich die Augen zu reiben, dass er mit Sympathien von rechts überschüttet wird, da er sich doch als Liberaler versteht. Kurt Westergaard ist ein Spaßmacher, und kein Salman Rushdie.

Die Sache hat aber noch eine tiefere Dimension: Bei der Preisverleihung in Potsdam haben wir gehört, dass die Meinungsfreiheit ein Recht sui generis sei. So ist es aber nur in den USA. Dort ist tatsächlich sie nur eingeschränkt durch das Verbot des Aufrufs zum hate crime, zum Hassverbrechen, sie gilt also fast grenzenlos. In Europa ist dies anders, die Meinungsfreiheit ist in der Tat beschränkt, sie "findet ihre Schranken in ..." heißt es im Grundgesetz vor einer Aufzählung dieser Schranken. Volksverhetzung beispielsweise ist in Deutschland ein Straftatbestand, wer Auschwitz leugnet oder die persönliche Ehre anderer verletzt, bekommt es mit dem Richter zu tun - nicht so in Amerika. Deshalb mussten sich dort Präsident Obama und General Petraeus auch unter Hinweis auf die Soldaten in Afghanistan deutlich gegen den Pastor aus Florida wenden, der den Koran anzünden wollte - und haben damit signalisiert, dass es zumindest politische Grenzen der Meinungsfreiheit gibt. Sollte die Bundeskanzlerin, wenn sie Kurt Westergaard ehrt und damit ihre Reverenz einem fremdenfeindlichen Milieu in Dänemark erweist, diese Gefährdungen für die deutschen Soldaten in Afghanistan nicht im Blick gehabt haben?

In Dänemark haben Volkspartei und Jyllands-Posten der Öffentlichkeit weisgemacht, dass die Kultur des Landes eine Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht kennt. Ihnen geht es aber nicht um Freiheit, sie pflegen ein anderes Verständnis von Demokratie - mit dem Ergebnis, dass Dänemark das fremdenfeindlichste Land in Europa ist, zumindest die restriktivsten Einwanderergesetze hat. Die Volkspartei verlangte im August den Zuzugsstopp für alle Personen aus nichtwestlichen Ländern.

Sicherlich, Westergaard kann denken und zeichnen, was er will. Wenn er aber meint, dass dies sein Bürgerrecht ist, muss er auch die Konsequenzen bedenken. Ein Märtyrer ist er nicht, wie beklagenswert seine Lage nun auch sein mag.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2010/segi
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