Rechtspopulisten in Europa:Mythos Haider

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Jörg Haider darf als Urvater all jener Rechtspopulisten gelten, die heute in ganz Europa ihr Unwesen treiben. (Foto: REUTERS)

Der fesche Volksverführer aus Kärnten hat vorgemacht, wie man mit Aggressivität und Hemmungslosigkeit Aufmerksamkeit erregt. Zehn Jahre nach seinem Tod sind die Rechten in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Kommentar von Peter Münch, Wien

Österreich ist im Gedenkmodus, nicht offiziell, aber intensiv: Zum zehnten Todestag von Jörg Haider, der in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2008 mit 142 Stundenkilometern auf dem Tacho und 1,8 Promille Alkohol im Blut mit seinem Auto von der Straße abkam, wird reichlich postmortaler Trubel veranstaltet.

Der heutige FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nimmt bei einem Festakt versöhnlich und stolz die "Jörg-Haider-Medaille" entgegen. Der sozialdemokratische Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser legt einen Kranz am Grab des Vorgängers nieder. Funk, Fernsehen und Gazetten sind gut gefüllt mit Rück- und Ausblicken. Da wuchert ein Mythos, der verwunderlich, aber kein Wunder ist.

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Denn dieser fesche Volksverführer aus dem Kärntner Bärental darf tatsächlich als der Urvater all jener Rechtspopulisten gelten, die heute nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa und darüber hinaus ihr Unwesen treiben. Wenn US-Präsident Donald Trump von "America first" schwadroniert, dann liegt das Copyright womöglich bei Haider, der schon Anfang der Neunzigerjahre "Österreich zuerst" propagiert hatte.

Wenn Ungarns Premierminister Viktor Orbán auf Brot und Spiele setzt und in seinem Heimatdorf eine Fußballakademie samt stattlichem Stadion erbaut, dann steht die Vorbild-Arena dazu in Klagenfurt. Und wenn die italienische Rechtsregierung das Geld nun ohne Rücksicht auf spätere Verluste mit vollen Händen ausgibt, dann hört man noch einmal die Kassen bei der Hypo Alpe Adria Bank klingeln.

Haider hat, was er aufgebaut hat, eigenhändig wieder eingerissen

An Haider messen sich viele und viele müssen sich messen lassen. Denn wenn irgendwo das rechte Personal nicht vom Fleck kommt bei den Wahlen, so wie es in Deutschland erfreulich lange der Fall war, dann heißt es stets, es fehle ihnen halt "ein Haider". Unter dem Strich ist das ein bisschen viel der Ehre für den österreichischen Egomanen, der nicht nur ein Antreiber war, sondern auch ein Getriebener - getrieben von Geltungssucht, einer stets gärenden Persönlichkeit und einem Nazi-Elternhaus.

Gewiss, er hat die ehemals Fünf-Prozent-Partei FPÖ groß gemacht, hat 1999 mit 26,9 Prozent den bis heute gültigen Wahlrekord aufgestellt und die rechten Außenseiter in die Regierungsverantwortung gebracht. Aber er hat danach auch all das, was er aufgebaut hat, eigenhändig wieder eingerissen, war für Regierungskrisen, Wahlabstürze und für die Spaltung der Partei verantwortlich.

All das lässt sich weniger politisch als vielmehr psychologisch deuten. Sein Handeln hatte nicht immer mit der Ratio, sondern viel mit Emotionen zu tun - aber genau darin liegt ja auch Haiders eigentliches Erbe. Denn er hat vorgemacht, wie man mit Aggressivität und Hemmungslosigkeit Aufmerksamkeit erregt, wie man durch Regelverstöße und Tabubrüche nach oben kommt, wie man zugleich Feindbilder schürt und den eigenen Opfermythos pflegt. Ach ja: Und wie man dabei auch noch bella figura macht.

Mit dieser im Kern ideologiefreien Methode hat er eine Vielzahl gelehriger Schüler gefunden. Doch dass die Saat aufging und die Epigonen heute überall nach vorn drängen, ist gewiss nicht nur Haiders zweifelhafter Verdienst. Geschuldet ist das eher einem politischen Klimawandel, den die Populisten nicht bewirkt, sondern nur genutzt haben. In den globalisierten Gesellschaften werden Krisen meist als Großkrisen erlebt, vom Bankencrash bis zur Flüchtlingswelle. Das löst Ängste aus, und davon leben all die Rattenfänger, die Sicherheit versprechen und alte Stärke.

Der Pate der heutigen Populisten: Wladimir Putin

So sind zehn Jahre nach Jörg Haiders Unfalltod die Rechtspopulisten in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dafür sind die Gesellschaften oft weit nach rechts gerückt. Als Haiders FPÖ anno 2000 plötzlich in Wien mitregierte, da reagierten die verstörten Partner in der Europäische Union noch mit Strafmaßnahmen.

Heute sitzen Haiders Erben nicht nur in Österreich, sondern auch in zahlreichen anderen EU-Ländern an den Schalthebeln der Macht, in fast allen sind sie im Parlament vertreten. Im Verbund hetzen sie, wie gerade wieder die Französin Marine Le Pen und Italiens Innenminister Matteo Salvini, gegen den Brüsseler "Bunker", den sie aufzubrechen drohen.

Da hat sich eine Front formiert, die vereint enorme destruktive Kräfte entfalten kann. Haider mag von solchen Zusammenschlüssen schon geträumt haben, als er 2002 einmal Vertreter rechter Parteien aus anderen europäischen Ländern zum Kennenlernen nach Kärnten einlud. Damals war das eher ein Spielchen, außenpolitisch irrlichterte Haider ohnehin durch die Welt und umschmeichelte gern auch mal Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi. Die Populisten von heute haben dagegen fast alle einen gemeinsamen Paten gefunden: Wladimir Putin, den russischen Präsidenten.

Von solchen Strukturen waren die Rechten zu Haiders Zeiten noch weit entfernt. Das Spielfeld ist heute viel größer - und auch die Gefahr.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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