Süddeutsche Zeitung

Rechtspopulisten in Europa:Die großen Vereinfacher

Sie heißen Le Pen, Bossi oder Wilders, ihre Forderungen sind unerfüllbar, und doch haben sie immer mehr Zulauf: Europas rechte Populisten sind auf dem Vormarsch. Das belegt auch das Wahlergebnis in Schweden.

Thomas Kirchner

Wie Fieberschübe sucht der Rechtspopulismus Europa heim. Der erste Schub kam in den achtziger Jahren, als der Aufstieg des französischen Front National und der Alpen-Volkstribunen Jörg Haider in Österreich und des Schweizers Christoph Blocher die etablierten Parteien in Unruhe versetzte. Mit dem Fall der Mauer schien sich das Thema erledigt zu haben. Doch im Jahr 2000 wurde Haiders Freiheitliche Partei (FPÖ) in die Regierung aufgenommen. Zwei Jahre später schaffte es Jean-Marie Le Pen sensationell in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl, und in den Niederlanden erstrahlte Pim Fortuyns Stern hell, aber nur kurz.

2005 war der Spuk fast vergessen, die Spaltung der FPÖ schien den Niedergang der populistischen Bewegungen, zumindest in Westeuropa, vorzuzeichnen. Ein Trugschluss, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen. Die Rechtspopulisten beherrschen die Diskussionen, setzen sich im politischen Spektrum fest - mitunter sogar wieder in Regierungen - und sammeln quer durch den Kontinent fleißig Wählerstimmen.

- In den Niederlanden wurde die Freiheitspartei unter Geert Wilders bei der jüngsten Wahl drittstärkste Kraft. Sie will nun ein Minderheitskabinett zweier Rechtsparteien tolerieren und auf diese Weise mitregieren.

- In Dänemark duldet die Volkspartei unter Führung von Pia Kjærsgaard seit fast zehn Jahren eine Minderheitsregierung. Sie konnte die Ausländerpolitik des Landes klar nach rechts lenken und ihre Stimmenzahl bei Wahlen kontinuierlich steigern.

- In Österreich holten die Freiheitlichen bei der Wahl 2008 zusammen mit dem abgespaltenen Bündnis Zukunft Österreich fast 30 Prozent der Stimmen.

- In der Schweiz ist die Volkspartei (SVP) seit Jahren stärkste Kraft im Parlament. Sie initiiert und gewinnt regelmäßig Volksabstimmungen, die sich vorrangig gegen "Sozialschmarotzer" oder Migranten richten, wie zuletzt beim erfolgreichen Votum zum Bau von Moscheen.

- In Italien ist die Lega Nord von Umberto Bossi seit 2008 mit vier Ministern in der Regierung von Silvio Berlusconi vertreten.

- In Frankreich steigerte sich der Front National bei den Regionalwahlen im Frühjahr auf neun Prozent. Jean-Marie Le Pen bereitet derzeit die Machtübergabe an seine politisch begabte Tochter Marine vor.

Auch in Belgien, Polen, Tschechien und Ungarn feiern Rechtspopulisten Erfolge, wobei diese auf postkommunistische Wirren und die Schwäche der gemäßigten Parteien zurückzuführen sind. Generell finden sich überall spezifische Faktoren, die den Aufstieg der großen Vereinfacher begünstigen: die koloniale Vergangenheit in Frankreich und den Niederlanden, der Nord-Süd-Konflikt in Italien, die Tradition der Minderheitsregierungen in Skandinavien, die Möglichkeiten der direkten Demokratie in der Schweiz, die sprachlich-kulturelle Zerrissenheit in Belgien.

Und dennoch, das Erfolgsrezept ist in jedem Land das gleiche. Zunächst einmal hilft es, einen charismatischen Typen an der Spitze zu haben, einen Wilders, einen Haider, einen Bossi. Ihre Stärke beziehen die Populisten daraus, dass sie sich als Anti-Politiker gerieren, die mit dem Establishment nichts zu tun haben wollen. Unter demokratischer Politik verstehen sie nicht die Suche nach Kompromissen und den Interessenausgleich. Vielmehr behaupten sie, den vermeintlichen Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen, der von den Eliten im Einvernehmen mit den sogenannten Mainstream-Medien ignoriert werde. Das Volk, auf das sie sich berufen, stellen sie wider besseres Wissen als eine homogene Einheit dar. Daraus resultiert auch die verbreitete Skepsis gegenüber der Europäischen Union.

Gemeinsam ist allen Populisten auf der Rechten zudem der Ruf nach einer intensiveren Bekämpfung der Kriminalität, für deren Anwachsen sie Migranten verantwortlich machen. Auch ist ihnen sehr daran gelegen, Ängste zu schüren: die Angst der Mittelschicht vor dem Abstieg; die Angst der Unterschicht, nicht nach oben zu kommen; die Angst vor dem Fremden und die Angst vor dem Sturm der Globalisierung. Wenn sie sich sozialpolitisch überhaupt äußern, so reichen die Positionen von eher links wie in den Niederlanden bis hin zum ultraliberalen Anti-Etatismus der Schweizer SVP.

In der Regel stellen Rechtspopulisten Maximalforderungen auf, wie "etwa Koran verbieten", "Steuer auf alle Kopftücher", "Raus aus der EU". Damit treffen sie den Nerv vieler Menschen, auch wenn von vornherein absehbar ist, dass die Erfolgsaussichten gleich null sind. Der Politikstil der Rechtspopulisten ist durchweg konfrontativ und polemisch, was weniger eine Charakterfrage ist als ein taktisches Mittel, um das "Wir gegen sie"-Gefühl zu kultivieren. Dem dienen auch konsequente Tabubrüche und Regelverstöße. Wenn sich damit die Justiz beschäftigen muss und die Medien auf das Thema einsteigen, umso besser. Das verschafft Aufmerksamkeit und hebt die Glaubwürdigkeit bei den Anhängern.

Interessant wird es allerdings, wenn solche Bewegungen an die Macht gelangen, wenn sie Kompromisse eingehen, und Entscheidungen vor der eigenen Anhängerschaft verantworten müssen. Dann funktioniert das mit den Maximalforderungen nicht mehr, dann wird die Anti-Partei schnell zur Partei und gerät rasch in eine Glaubwürdigkeitskrise, an der sie zerbricht wie weiland die Freiheitliche Partei in Österreich. Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet allenfalls das dänische Duldungsmodell, das der ehemalige FPÖ-Stratege Andreas Mölzer seinen Gesinnungsgenossen in Europa denn auch sehr zur Nachahmung empfiehlt.

Ein weiteres Kennzeichen der "zweiten Welle" von Rechtspopulisten ist: Sie sind gut vernetzt, tauschen ihre Erfahrungen aus und haben aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Geert Wilders etwa hat seine Partei so gut im Griff, weil er ihr einziges Mitglied ist. So vermeidet er ein Chaos, wie es einst bei der Liste des 2002 ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn herrschte.

Auch bei der Parlamentswahl in Schweden am vergangenen Wochenende erzielte eine rechtspopulistische Partei große Erfolge: Die Schwedendemokraten zogen erstmals in den Reichstag ein.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2010/jab
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