Rechtspopulismus:Der Anschlag, die AfD und ihre Masche

Pk AfD zum NRW-Landtagswahlkampf und zur inneren Sicherheit

Polit- und Lebensabschnittspartner: AfD-Vorsitzende Frauke Petry und Marcus Pretzell (Mitte), Chef der AfD von Nordrhein-Westfalen

(Foto: dpa)

Die AfD instrumentalisiert den Anschlag vom Breitscheidplatz sofort und aggressiv. Ein Lehrstück über den Ablauf von Provokationen, Medien im Dilemma - und Populisten, die den Ekel-Faktor unterschätzen.

Von Oliver Das Gupta

Nur wenige Stunden, bevor ein Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz rast und dabei insgesamt zwölf Menschen getötet und Dutzende mehr verletzt werden, konferiert der Bundesvorstand der AfD. In einer Telefonschalte segnen die Parteigrößen ein Strategiepapier für das wichtige Wahljahr 2017 ab, schreibt die FAZ.

In dem Konzept ist von "sorgfältig geplanten Provokationen" die Rede, die andere Parteien nervös machen und zu unfairen Manövern verleiten sollen, berichtete die Bild-Zeitung schon einige Tage zuvor. Das Kalkül der AfD-Führung: Je mehr die Rechtspopulisten stigmatisiert werden, "desto positiver ist das für das Profil der Partei". Ein ähnliches Vorgehen hat Parteichefin Frauke Petry intern bereits im Frühjahr propagiert.

Gutmenschen, Flüchtlinge, Merkel - zack, zack, zack

Die Strategie scheint zu erklären, weshalb die AfD-Funktionäre dann so drastisch auf den Anschlag vom Breitscheidplatz reagieren. Da twittert André Poggenburg, Rechtsaußen aus Sachsen-Anhalt: "Das Gutmenschengejaule zu Terror in Berlin wird gleich einsetzen." Aus der AfD-Jugend wünscht man dem SPD-Vize Ralf Stegner "fast Bekanntschaft mit einem Lkw-Reifen", weil dieser festgestellt hatte, dass es absolute Sicherheit in einer freiheitlichen Demokratie nicht gebe. "Es sind Merkels Tote", behauptet Marcus Pretzell, Chef der NRW-AfD und verweist auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Pretzells Lebensgefährtin Petry sekundiert wenig später via Facebook: "Merkel und Co. tragen eine erhebliche Mitschuld!"

Medien und Flüchtlinge, Gutmenschen und Merkel - zack, zack, zack. Schnell und zielgerichtet verbindet die AfD den Anschlag mit ihren Feindbildern, beantwortet die Schuldfrage, bevor die Hintergründe klar sind, und tritt dabei scharf und drohend auf. Noch während am Breitscheidplatz die Ermittler die Spuren sichern und Ärzte die Schwerverletzten versorgen, instrumentalisiert die AfD die Tat für ihre Agenda.

Und es geht weiter, Tendenz schriller. Am heutigen Mittwochabend wollen die AfD-internen Rivalen Petrys, Alexander Gauland und Björn Höcke, im Verbund mit radikal rechten Gruppierungen vor das Kanzleramt ziehen. Bei Facebook ist die Parole ausgegeben: "Merkel muss weg." So klingt bei der AfD eine "Mahnwache".

Provokation - "ein einfaches, aber bewährtes Konzept"

Provokation, Polemik und Tabubruch zählen für den Politikwissenschaftler Tim Spier nicht nur als Stilelemente populistischer Agitation. "Sie sind ein effektives Mittel, um die anvisierte Zielgruppe zu erreichen", sagt der Juniorprofessor von der Uni Siegen zur Süddeutschen Zeitung. In dieser Hinsicht gerät die Causa Breitscheidplatz zum Lehrstück für Rechtspopulismus - doch neu ist die Masche nicht.

Der Ablauf ist immer ähnlich: Auf die Provokation folgt die Empörung der anderen, mit der Empörung kommt die Aufmerksamkeit, mit der Aufmerksamkeit erreicht man ziemlich viele Menschen. "In der breiten Öffentlichkeit angekommen, kann man dann Inhalte platzieren", sagt Stefan Petzner, ein ehemaliger Funktionär der österreichischen Rechtspopulisten. "Kurze Zeit später kann man dann relativieren oder man sagt, die Medien hätten alles verdreht."

Der Steirer kennt die Tricks genau, schließlich hat er sie früher selbst oft genug angewandt. Als Vertrauter und Sprecher des langjährigen FPÖ-Chefs Jörg Haider managte Petzner erfolgreiche Wahlkampagnen, später machte er Politik als Parlamentarier für das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Inzwischen ist Petzner parteilos, politisch in die Mitte gerückt und gefragter Kommunikationsberater in Wien. "Die gezielte Provokation, die die AfD intern empfiehlt, ist ein einfaches, aber bewährtes Konzept", sagt er.

Populistische Agitationsformen haben eine lange Tradition, sie kamen auf, als sich die moderne Massenkommunikation entwickelte. Die Wirkmächtigkeit entfaltete sich im ausgehenden 19. Jahrhundert, sagt Politikwissenschaftler Spier. Besonders erfolgreich waren Populisten im Deutschland der 1920er Jahre und 30er Jahre. Damals wurden laut Spier "solche Kniffe besonders stark eingesetzt", und zwar "nicht nur, aber insbesondere von den Nationalsozialisten".

Die Bundesrepublik gleicht nicht der Weimarer Republik, die nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden war. Doch die Kommunikationsstrategien von damals sind auch heute für Populisten noch ein geeignetes Mittel. Und im Internet lassen sie sich besonders leicht umsetzen.

Die Presse steckt in einem Dilemma: Sie soll über alles Relevante berichten, darunter fallen unter Umständen auch Provokationen und Tabubrüche einer Partei, die möglicherweise bald im Bundestag sitzt. Auf der anderen Seite ist die Berichterstattung aber ein Verstärker der Agitation und trägt zum Erfolg der Populisten bei.

Vorbild Österreich und die Frage des populistischen Timings

Wenn Journalisten relevante Verbalausfälle ignorieren, hilft das selten, ein unaufgeregter und sachlicher Umgang schon. Provokationen sollte "man in Information einbetten", sagt die Publizistin Liane Bednarz, die seit Langem rechte und rechtspopulistische Strömungen beobachtet.

Bednarz mahnt an, dass sich Politik, Medien und übrige Gesellschaft offen mit Islamismus, Integration und Flüchtlingen befassen, jenseits von Skandalisierung und Schönrednerei. "Wenn es gelingt, die Debatte offen aber sachlich zu führen, wird schnell klar sein, dass Populisten keine Lösungen bieten", glaubt Bednarz. "Schließlich gibt es nicht die eine Antwort auf die islamistische Terrorgefahr."

Dass der Kanzlerin der Anschlag vom Breitscheidplatz schadet, liegt auf der Hand. Allerdings geht damit nicht automatisch einher, dass die AfD davon besonders profitiert. Der frühere Rechtspopulist Petzner ist sich sogar ziemlich sicher, dass das aktuelle AfD-Gebaren eher kontraproduktiv für Petry und ihre Parteifreunde ausfällt.

Persönlich empfinde er die scharfen Reaktionen als taktlos, politisch seien sie "plump". Die AfD "überreizt", sagt Petzner. Mit heftigen Angriffen auf Merkel und markigem Tumult bekomme man zwar den Beifall der Anhängerschaft, "aber so punktet die AfD nicht bei neuen Wählergruppen". Dort rufe sie mit solchen Grenzüberschreitungen "eher Ekel" hervor. Daran merke man, so Petzner, dass die AfD noch nicht lange im politischen Geschäft sei.

Ganz anders als die FPÖ, die Petzners politischer Ziehvater Haider zum Machtfaktor in Österreich machte. Dort blickt man auf die jahrzehntelangen Erfahrungen mit populistischen Kampagnen zurück und rangiert in Umfragen inzwischen als stärkste politische Kraft. Bei der zurückliegenden Präsidentenwahl schaffte der FPÖ-Vizeparteichef Norbert Hofer mit mehr als 46 Prozent das beste Ergebnis in der Parteigeschichte.

Auch Petzner hat seine Polit-Karriere bei den "Freiheitlichen" begonnen und mit Haider die Partei verlassen. Die FPÖ rückte unter dem heutigen Parteichef Heinz-Christian Strache deutlich nach rechts und gilt inzwischen als das Vorbild für die "Alternative für Deutschland". Parteichefin Petry tritt gerne mit FPÖ-Chef Strache auf und bekannte im Standard offen: "Die AfD wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, nicht von den Erfahrungen der FPÖ zu profitieren."

Doch nach dem Vorfall am Breitscheidplatz geben sich die FPÖ-Granden ganz anders als die deutschen Populisten, die ihnen nacheifern. Strache, sonst ein Meister der verbalen Untergriffigkeit, rückt seine Anteilnahme an den Geschehnissen in Berlin in den Vordergrund, äußert dabei auch gleich sein Mitgefühl mit dem ermordeten russischen Botschafter in Ankara und den Opfern der Schießerei in einer Zürcher Moschee (wobei er das überfallene Islamische Zentrum als "islamistisches Zentrum" bezeichnet). Selbst Attacken auf Merkel - von der FPÖ sonst gerne als Schlagzeilen-Zuckerl für Boulevardmedien verteilt - bleiben von seiner Seite bislang aus.

Nach Ansicht von Kommunikationsprofi Petzner ist die Zurückhaltung reine Taktik. Die FPÖ agiere halt "cleverer" als die deutschen Partnerpartei. Strache wisse, dass nun die Zeit der Trauer ist. Da kommt es nicht gut an, draufzuhauen - Stichwort Überreizung. Gut möglich, dass sich das bald ändert. "Das Thema bleibt erhalten, man kann es nach ein paar Tagen verwenden", prophezeit Petzner. "Dann ist der erste Schock vorbei und die Menschen sind wieder empfänglicher."

Mitarbeit: Maximilian Hartung

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