Rechtslage:Von wegen sicherer Hafen

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Letzte Instanz Supreme Court: Richterin Amy Coney Barrett. (Foto: Jim Loscalzo/imago images/ZUMA Wire)

Der Präsident könnte die Wahl noch immer an sich reißen. Dazu müsste er die Zertifizierung am 8. Dezember verhindern. Das wäre allerdings ein äußerst gewagtes Manöver.

Von Stefan Kornelius, München

Donald Trump wird die Wahl wohl nicht nach Stimmen gewinnen - aber er kann sie mit Tricks und Tücken des Verfahrens an sich reißen. Die US-Verfassung und die Wahlgesetzgebung auf Bundesebene und in den Bundesstaaten eröffnen verschiedene Wege, die der Präsident noch einschlagen könnte, um am Amt festzuhalten. Seine Strategie deutet darauf hin, dass er diese Option erwägt.

Das Interregnum zwischen dem Wahltag und dem Tag der Vereidigung des neuen Präsidenten am 20. Januar 2021 beträgt 79 Tage. In diese Periode fallen zwei wichtige Termine. Am "ersten Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember" werden die Wahlleute des Electoral College überall im Land ihre Stimmen abgeben, um den Präsidenten zu wählen. In diesem Jahr ist das der 14. Dezember.

Davor kennt der Wahlkalender den safe harbor day, der auf den 36. Tag nach dem Wahltermin fällt - also auf den 8. Dezember. Das Wahlgesetz erlaubt die Auszählung bis zu diesem Tag. Dann müssen also die Stimmen einen "sicheren Hafen" erreicht haben. Die Bundesstaaten zertifizieren am 8. Dezember ihr Ergebnis, die Wahlleute werden bestimmt - in der Regel von den Parteien selbst. Das bedeutet aber auch: Ohne Zertifizierung am 8. Dezember gibt es keine Wahlleute und keine Abstimmung am 14. Dezember. Zumindest nicht nach dem herkömmlichen Verfahren. Nach dem 8. Dezember ist kein Hafen mehr sicher.

Trump und sein Team fahren eine Strategie, die sich ganz auf den Terminkalender konzentriert. Offenbar weiß der Präsident, dass er nicht mehr genug Stimmen erhalten kann. Also nutzt er die Lücken, die Verfassung und die Wahlgesetze bieten.

Letzte Instanz Supreme Court: Richterin Amy Coney Barrett. (Foto: Jim Loscalzo/imago images/ZUMA Wire)

Im ersten Schritt diskreditiert Trump das Wahlergebnis, meldet rechtliche Zweifel an und unterwirft das Verfahren seiner Taktung. Das geschieht schon seit Monaten: Die Ressourcen für die Auszählung wurden ausgedünnt, das Briefwahlverfahren in Zweifel gezogen oder behindert, die Argumente gegen eine langwierige Auszählung wiederholt. Große Teile der Bevölkerung teilen inzwischen Trumps Sicht, dass das Verfahren außer Kontrolle geraten sei. All das erweitert den Spielraum für mögliche Prozesse und Anfechtungsverfahren. Nachzählungen des Ergebnisses in ganzen Bundesstaaten sind besonders langwierig - sensible Verfahren, die mit viel Getöse begleitet und in die Grauzone der Unrechtmäßigkeit gerückt werden können.

Je mehr Verfahren angestrengt werden, desto höher die Chance, dass die Bundesstaaten kein offizielles Ergebnis feststellen und damit wie vorgesehen am 8. Dezember ihr Wahlergebnis zertifizieren und die Wahlleute benennen können.

Danach wandert die Aufmerksamkeit weg von der Urne und hin zu den Gesetzesbüchern. Den Paragrafen zufolge werden die Wahlleute eigentlich von der siegreichen Partei entsandt, allerdings gibt es seit der Auszählungsauseinandersetzung zwischen George W. Bush und Al Gore aus dem Jahr 2000 ein Urteil des Obersten Gerichts, wonach die Bundesstaaten dieses Recht an sich nehmen können. Für diesen Ermächtigungsakt kommen die Kongresse oder die Gouverneure infrage. Die Parlamente in den umkämpften Bundesstaaten - Pennsylvania, Georgia, Arizona, Michigan und Wisconsin - sind allesamt republikanisch dominiert, von den Regierungen zumindest ein Teil. Sie könnten feststellen, dass die Ergebnisse nicht den Willen der Wähler widerspiegeln. Stattdessen würde die im Staaten-Kongress abgebildete Mehrheit entscheiden - also die Republikaner. Fraglich ist allerdings, ob eine ausreichende Zahl von Staaten dieses gewagte Manöver mitmachen.

Wird das Einfallstor über die Landesparlamente nicht genutzt, kommt immer noch kein Wahlleute-Gremium zustande. Dann geht die Rechtsauseinandersetzung in die dritte Runde und in Washington würde das Repräsentantenhaus den Präsidenten wählen. Dort stellen zwar die Demokraten die Mehrheit, aber die Rechtsgrundlage für dieses Notverfahren, aufgeschrieben im "Wahlzählungsgesetz", ist mehr als schwammig, oder in den Worten eines Gesetzeskommentators: verwirrend und hässlich. Sicher ist lediglich: Nun wäre der letzte, aber für Trump besonders erfolgversprechende Weg zum Supreme Court frei.

All diese Verfahrensschritte eröffnen Trump Optionen, an seinem Amt festzuhalten. Die beste Chance der Demokraten liegt darin, möglichst viele Bundesstaaten per Stimmmehrheit zu gewinnen und sich so gegen den Versuch der Anfechtung in einem oder zwei Staaten abzusichern.

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