Rechtsextremistische Mordserie:Neonazis sollen für weiteren Anschlag verantwortlich sein

Die Thüringer Neonazis sind möglicherweise für einen weiteren Anschlag in Köln verantwortlich: Bei dem Attentat wurde 2001 eine Deutsch-Iranerin schwer verletzt. Kanzlerin Merkel will die Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens prüfen lassen. Kritik hagelt es an den Sicherheitsbehörden: Einem Zeitungsbericht zufolge soll ein hessischer Verfassungsschützer in einen der Anschläge involviert sein.

Die Thüringer Neonazis sind möglicherweise für einen weiteren Anschlag in Köln verantwortlich. Das teilte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums mit. Dabei sei eine Deutsch-Iranerin 2001 durch eine Sprengfalle im Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern schwer verletzt worden. Ein vermeintlicher Kunde hatte den Sprengsatz in einem Einkaufskorb deponiert. Dies habe eine Analyse der DVD ergeben, die im Brandschutt einer Wohung in Zwickau entdeckt worden war.

Rechtsextreme in Jena

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann fordert angesichts der rechtsextremistischen Mordserie neu über ein Verbot der NPD nachzudenken. (Hier ein Archivbild von einem Aufmarsch bei einer genehmigten NPD-Demonstration im Jahr 2006 in Jena)

(Foto: dpa)

Bei einer Reihe weiterer mutmaßlicher Anschläge wird zur Zeit geprüft, ob die Neonazis dafür verantwortlich sein könnten. Die DVD lieferte weitere Hinweise auf einen weiteren Anschlag in Köln: Im Jahr 2004 waren in der von vielen Türken bewohnten Keupstraße in Köln durch eine Nagelbombe 22 Menschen verletzt worden. Die Bundesanwaltschaft übernahm am Montag die Ermittlungen zum Nagelbombenanschlag.

Die Neonazis sollen auch für die bundesweite Mordserie an türkischen und griechischen Imbiss-Besitzern sowie dem Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter in Heilbronn verantwortlich sein.

Immer mehr Kritik hagelt es an der Rolle der Sicherheitsbehörden: Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung soll ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzes an einem der Anschläge auf türkische und einen griechischen Kleinunternehmer stärker involviert gewesen sein als bislang bekannt. Der Verfassungsschützer soll sich zum Zeitpunkt des Mordes an dem Betreiber eines Internetcafés 2006 in Kassel am Tatort aufgehalten haben. Der Mann ist inzwischen vom Dienst suspendiert, berichtet die Zeitung und beruft sich dabei auf Sicherheitskreise in Wiesbaden.

Bereits zuvor hatte die Politik offen die Qualität der Geheimdienste in Frage gestellt. So forderte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz auf Länderebene. Es sei "sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde", sagte Friedrich der Bild-Zeitung.

Nach derzeitigem Ermittlungsstand gebe es zwar "keine Kontakte" zwischen den bekannten Tätern und dem Verfassungsschutz oder dem Bundeskriminalamt. Da sich die Vorgänge im Bereich des Thüringer Landes-Verfassungsschutzes abgespielt hätten, müsse diese Behörde nun aber "dringend aufklären". Auch von anderen Politikern kommt heftige Kritik am Verfassungsschutz: Friedrichs bayerischer Amtskollege Herrmann sagte dem Deutschlandfunk, es müsse geklärt werden, warum "Leute, die schon mal im Visier des Verfassungsschutzes waren, abtauchen und über einen so langen Zeitraum nicht wiederaufgefunden werden konnten".

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, geht noch einen Schritt weiter: Dass die Jenaer Neonazis jahrelang unbemerkt bleiben konnte, sei in keiner Weise nachvollziehbar. "Auf jeden Fall hat hier der Verfassungsschutz versagt und wir müssen klären, warum", sagte Oppermann im ZDF. Mit dem Fall will sich am Dienstag auch das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium befassen, dessen Vorsitzender Oppermann ist.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte angesichts der jahrelang unerkannt gebliebenen rechtsextremen Terrorgruppe eine Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Es müsse darüber geredet werden, ob der Verfassungsschutz mit 16 Landes- und einer Bundesbehörde "optimal organisiert" ist, forderte sie. Eventuell könnten mehrere Landesbehörden zusammengelegt werden.

Die Mordserie hat zudem eine neue Debatte über ein Verbot der rechtsextremen NPD entfacht: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nach einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa die Erfolgsaussichten für ein neues NPD-Verbotsverfahren prüfen lassen. Das geht aus einem Initiativantrag hervor, der auf dem CDU-Parteitag in Leipzig von Merkel, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und weiteren Delegierten eingebracht wurde.

Bundes-CDU will neues NPD-Verbotsverfahren prüfen

Die CDU will die Regierungen von Bund und Ländern auffordern, intensiv zu prüfen, ob nach dem Vereinsrecht weitere Strukturen der rechtsextremistischen Szene verboten werden können. Zudem müsse die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu einem neuen NPD-Verbotsverfahren vorangetrieben werden. Bund und Länder seien gefordert, "alle rechtsstaatlichen Mittel konsequent gegen diese rechtsextremistischen Bestrebungen zu ergreifen".

Der Antrag wurde damit begründet, dass die Mordserie den von extremistischen Parteien und vielen Kameradschaften getragenen aggressiven Rechtsextremismus demaskiere. Dies erweise "sich als eine ernsthafte, brutale Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen", heißt es in dem Papier. Die Taten der Terrorzelle in Zwickau zeigten "in aller Brutalität, dass rechtsextremistische Strukturen ihren aggressiven Kampf" gegen den Rechtsstaat auch mit terroristischen Mitteln führten.

Zuvor hatte sich bereits Bayerns Innenminister Joachim Herrmann für ein neues Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, sagte der Passauer Neuen Presse, ein NPD-Verbot würde den Sicherheitsbehörden helfen und wäre ein schwerer Schlag für die gesamte rechtsextreme Szene. Grünen-Chef Cem Özdemir warnte dagegen vor zu hohen Erwartungen an ein NPD-Verbot. Zudem lenke die Diskussion um die NPD von der eigentlichen Diskussion ab: "Wir müssen darüber reden, dass NPD und Rechtsradikale in manchen Teilen Deutschlands, vor allem im Osten unserer Republik, gesellschaftlich hegemonial geworden sind."

Innenexperten von CDU und SPD äußerten sich ebenfalls skeptisch zu einem erneuten Anlauf in Karlsruhe. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger: "Wenn in immer kürzeren Abständen ein Verbotsantrag gefordert wird, der dann doch nicht kommt, hinterlässt der Staat einen hilf- und kraftlosen Eindruck." Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hält ein neues Verbotsverfahren nicht für hilfreich. Zunächst gehe es darum, die Umstände der Mordserie aufzuklären, sagte Wiefelspütz der Mitteldeutschen Zeitung.

Haftbefehl gegen Terrorverdächtige Beate Z.

Am späten Sonntagabend hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Haftbefehl gegen die 36-jährige Beate Z. erlassen. Damit gab der BGH-Richter einem Antrag der Bundesanwaltschaft statt. Beate Z. wird vorgeworfen, Mitglied in der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zu sein.

Die als "Brandstifterin von Zwickau" bekannte Beate Z. soll 1998 gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine rechtsextremistische Gruppierung gegründet haben, die sich zuletzt als NSU bezeichnet habe. Das Haus im sächsischen Zwickau, in dem die drei lebten, wurde am 4. November bei einer Detonation zerstört. Die Frau soll die Wohnung in Brand gesetzt haben, "um Beweismittel zu vernichten".

Am Sonntag war außerdem in Hannover Holger G. als weiteres mutmaßliches Mitglied der rechtsextremistischen Terrorzelle festgenommenen worden. Er soll sich 2007 der NSU angeschlossen haben und die anderen drei Neonazis unter anderem mit Ausweispapieren versorgt haben. Nach Durchsuchung seiner Wohnung habe sich der Tatverdacht gegen ihn bekräftigt, sagte der kommissarische Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum in der ARD. An diesem Montag soll Holger G. dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden.

Die DVDs mit dem Propagandafilm sind doch schon teilweise verschickt worden. Bislang hatte es geheißen, in der Zwickauer Wohnung der mutmaßlichen Täter seien voradressierte Umschläge an verschiedene Medien sowie islamische Vereine gefunden worden, die lediglich zum Versand vorbereitet waren. Nun teilte der Landesvorsitzende der Linken, Matthias Höhn, mit, dass das Bekennervideo in dieser Woche in einem Parteibüro der Linken in Sachsen-Anhalt eingegangen sei.

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