Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:"Ich kann doch nicht Däumchen drehen und warten, bis uns jemand abknallt"

Der "NSU 2.0" bedroht sie seit zwei Jahren, die Polizei kommt nicht weiter. Nun setzt die Anwältin Seda Basay-Yildiz selbst eine Belohnung aus.

Von Annette Ramelsberger

Ihr früherer Nachbar hat die Anwältin Seda Basay-Yildiz angerufen. Der 84-Jährige war besorgt. Die Kriminalpolizei sei bei ihm gewesen, mit Schutzwesten, so als könnten die beiden Beamten bei ihm im Haus gefährdet sein. Sie hätten nach ihr gefragt, der Anwältin, seiner früheren Nachbarin. Wann sie ausgezogen sei? Ob sich jemand nach ihr erkundigt habe? Der alte Herr machte sich Sorgen und sagte vorsorglich, seine frühere Nachbarin Basay-Yildiz sei "sehr beliebt" gewesen im Haus.

Dort schon. Ihre Feinde sitzen anderswo. Im NSU-Prozess hat die Anwältin Seda Basay-Yildiz eine der Opferfamilien vertreten. Und seit dem Sommer 2018 wird sie von einem Rechtsradikalen, der sich "NSU 2.0" nennt, bedroht. Er hat ihre Adresse herausgefunden, er kündigt an, ihre Tochter zu töten. Und er bleibt ihr auf der Spur, selbst als sie umgezogen ist und ihre Adresse streng geschützt und für alle Nachfragen gesperrt wurde.

Der oder die Täter kommen mit größter Wahrscheinlichkeit aus der Frankfurter Polizei. Dort, im Innenstadtrevier, wurde ihre Adresse, eine Stunde bevor die erste Drohung bei ihr einging, abgefragt. Ohne nachvollziehbaren Grund. Sechs Polizistinnen und Polizisten hatten Zugang zum Dienstcomputer. Keiner will es gewesen sein. Der Hauptverdächtige schweigt. Doch die Drohungen gehen weiter, seit zwei Jahren.

Bis heute hat sie keine Akteneinsicht bekommen, bis heute hat man ihr keine Bilder der verdächtigen Polizisten gezeigt

Am Anfang wurde Seda Basay-Yildiz gesagt, sie könne ja die 110 wählen, wenn ihr etwas Eigenartiges auffalle. Dann machte sie die Bedrohung öffentlich und bekam doch noch Schutz, zumindest bei öffentlichen Auftritten. Nachdem der "NSU 2.0" nun auch die Linken-Politikerin Janine Wissler und die Comedian Idil Baydar bedroht und auch deren Daten aus hessischen Polizeicomputern ausgelesen worden waren, hat das Innenministerium in Wiesbaden einen Sonderermittler eingesetzt. Und der kümmert sich offensichtlich nun um die alten Nachbarn der bedrohten Anwältin und fragt, ob das Opfer möglicherweise Anlass für die Bedrohung gegeben haben könnte.

Es ist ein Muster, das die Anwältin aus dem NSU-Komplex kennt. Jahrelang hatte die Polizei im Umfeld der Opfer ermittelt und die Familien verdächtigt. Auf die Bedrohung durch eine rechte Terrorgruppe war die Polizei nicht gekommen.

"Wird hier gegen mich ermittelt?" fragt Basay-Yildiz im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Warum ermittelt die Polizei nicht in den eigenen Reihen?" Bis heute hat sie keine Akteneinsicht bekommen. Bis heute hat man ihr keine Bilder der verdächtigen Polizisten gezeigt, sodass sie sagen könnte, ob sie in Kontakt mit ihnen gekommen ist. Man sagt ihr auch nicht mehr, wie weit die Ermittlungen sind. Die Polizei hat ihr geraten, ihr Haus sicherheitstechnisch aufzurüsten, natürlich auf ihre eigenen Kosten.

Und jetzt ist vor ihrer neuen Wohnung ein Mann aufgetaucht, der Fotos von dem Haus machte. Von allen Seiten. An einer Adresse, die gesperrt ist. Von der nur ein ganz kleiner Kreis weiß. Sie kann das nicht für Zufall halten. "Ich bin jetzt zwei Jahre ruhig geblieben. Aber ich kann doch nicht Däumchen drehen und warten, bis uns jemand abknallt."

Sie will jetzt nicht mehr allein auf die Arbeit der Polizei vertrauen. Sie setzt eine Belohnung aus: 5000 Euro für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen. Sie macht das aus ihrer eigenen Tasche. Über die E-Mail-Adresse Hinweise_NSU2.0@protonmail.com nimmt sie Hinweise entgegen. "Ich kann nicht noch drei Jahre mit der Ungewissheit leben", sagt sie.

Man hat ihr auch geraten, sich nicht so zu exponieren. Eine Belohnung auszusetzen, das mache sie noch bekannter, wurde sie gewarnt. Aber Seda Basay-Yildiz ist unbeirrt. "Der Worst Case ist schon eingetreten. Der Täter hat meine neue, geheime Adresse. Er hat sie schon an verschiedene Medien geschickt, um damit zu prahlen. Was soll noch schlimmer werden?"

Das Landeskriminalamt teilt mit, die Auslobung einer Belohnung zur Ergreifung eines Täters sei eine taktische Möglichkeit. Bis dato sei sie von der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht ergriffen worden. Und das LKA gibt der bedrohten Anwältin auch gleich den Rat, eventuelle Hinweise, die nun bei ihr eingehen, an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Das sei von "grundlegender Bedeutung".

Es war auch nicht anzunehmen, dass die Anwältin mit den Hinweisen auf eigene Faust ermittelt.

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