Rechtsextremismus:Rechtliche Zweifel an Gesetz gegen Hassrede

Symbolfoto zum Thema hate speech Hassrede in sozialen Medien In einem Kommentar auf facebook ist

Facebook Content-Moderatoren treffen im Minutentakt moralisch knifflige Entscheidungen. Das Oversight Board soll ihnen dabei Leitlinien vorgeben.

(Foto: Thomas Trutschel/photothek.net/imago/photothek)

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält das Gesetz, das den Abruf von Nutzerdaten zur Hassbekämpfung erlauben soll, für teilweise verfassungswidrig.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ist ein Prestigeprojekt von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD): Am 18. Juni hatte der Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität beschlossen. Mit einer Pflicht für Internetplattformen und soziale Netzwerke, Hassposts ans Bundeskriminalamt (BKA) zu melden, sollte ein wirkungsvolles Mittel gegen Hass und Hetze im Netz geschaffen werden. Noch ist das Gesetz nicht in Kraft, es harrt der Verkündung im Bundesgesetzblatt. Nun aber tauchen ernst zu nehmende Zweifel auf, ob es überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält das Regelwerk für teilweise verfassungswidrig.

Die Kernthese des im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen angefertigten 27-Seiten-Gutachtens, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, lautet: Einige der Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf sogenannter Bestandsdaten der Internetnutzer gehen zu weit, und zwar deshalb, weil sie den Datenzugriff an keinerlei nennenswerte Voraussetzungen knüpfen. Denn der Abruf solcher Informationen wie Name, Anschrift oder Geburtsdatum bedeutet einen Eingriff in Grundrechte. Keinen besonders tiefen Eingriff zwar, es handelt sich dabei nicht um wirklich sensible Informationen. Dennoch gilt: "Auch Auskünfte über Daten, deren Aussagekraft und Verwendungsmöglichkeiten eng begrenzt sind, dürfen nicht ins Blaue hinein zugelassen werden."

Dieser Satz stammt nicht aus dem Gutachten, sondern aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der am 17. Juli veröffentlicht wurde - also nach dem Bundestagsentscheid über das Hate-Speech-Gesetz. Darin ging es zwar nicht um soziale Netzwerke, sondern um Telekommunikationsanbieter, die ebenfalls solche Bestandsdaten speichern. Aber aus Sicht des Wissenschaftlichen Dienstes lässt sich der ausführliche Karlsruher Beschluss auf die Netzwerke übertragen; einige der vom Verfassungsgericht beanstandeten Paragrafen seien nahezu wortgleich mit jenen des neuen Gesetzes.

Das gilt beispielsweise für die Identifizierung von Nutzern mithilfe einer IP-Adresse - also sozusagen das Kerngeschäft der Hassbekämpfung. Nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes dürfte die Vorschrift unverhältnismäßig sein, wenn man den Karlsruher Maßstab anlegt. Denn danach müsse "eine hinreichend präzise Umgrenzung des Verwendungszwecks der betroffenen Informationen" vorgenommen werden, die aber nicht zu entdecken sei. Damit aber steht auch die Meldepflicht in Frage, die der Wissenschaftliche Dienst eigentlich für ein geeignetes Instrument hält. Wenn die sozialen Netzwerke zwar melden müssen, das BKA aber die Daten nicht abrufen dürfe, weil die Vorschrift verfassungswidrig sei, dann laufe die Meldepflicht ins Leere.

Der Karlsruher Beschluss ist dem Gesetzgeber also unversehens in die Parade gefahren, zu einem Zeitpunkt, als das Gesetz bereits in trockenen Tüchern war. Ganz überraschend kam die höchstrichterliche Intervention freilich nicht. Ähnliche Befugnisse zum Datenabruf hatte das Gericht schon 2012 beanstandet.

Wie es richtig gehen könnte, illustriert ein anderer Paragraf, bei dem es um den Abruf von Nutzungsdaten geht. Diese sind in den Händen des BKA sehr viel heikler, weil die Nutzung eines Internetdienstes sehr viel mehr über einen Menschen verrät. Das könne bis zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen gehen, schreibt der Mainzer Professor Matthias Bäcker in einem Gutachten für die Grünen-Fraktion. Laut Gesetz soll das BKA aber nur Zugriff haben, wenn eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder der Verdacht einer Straftat vorliegt". Keine unüberwindliche, aber eine sichtbare Hürde. Das hält der Wissenschaftliche Dienst für verfassungsgemäß.

Aus Sicht der Grünen ist das Gesetz damit verfassungsrechtlich höchst angreifbar. Würde es ohne die nötigen Korrekturen in Kraft treten, wäre das Ziel einer wirksamen Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Netz ganz erheblich gefährdet, so formulieren es Renate Künast und Konstantin von Notz. Sollten die Korrekturen ausbleiben, sieht man sich wahrscheinlich in Karlsruhe.

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