Wenn der Winter Polens Nordosten fest im Griff hat, ist die Kleinstadt Lubawa kein Ort, der Neubürger aus dem Süden warm aufnimmt. Auf dem Marktplatz mit der Anna-Kirche aus dem 14. Jahrhundert bläst bei acht Grad unter null eisiger Wind. "Als ich hier ankam, war es wie jetzt: kalt und eisig - während in meiner Heimat die Sonne schien", sagt Salah Slama beim Gang durch die verschneiten Straßen und zieht die Wollmütze tiefer über die schwarzen Locken.
Salah Slama floh nicht vor Krieg, Verfolgung oder Armut, als er vor fünf Jahren aus Tunesien nach Lubawa zog. Der hochgewachsene 30-Jährige kam der Liebe wegen. Zwei Jahre zuvor war Magdalena Slama, damals Ewertowska, im Urlaub in Tunesien. Sie sprach weder Arabisch noch Englisch, als sie in der Küstenstadt Sousse Slama traf, der als Kellner arbeitete. Eine Freundin übersetzte die ersten Flirts. Die Polin mit den lebhaften grünen Augen und dem blonden Haar und der Tunesier verliebten sich Hals über Kopf.
Slama bekam kein Visum für Polen, so flog Ewertowska zwei Jahre alle zwei Monate für eine Woche nach Tunesien: "Ich musste ja herausfinden, in was für einen Menschen ich mich eigentlich verliebt hatte." Sie lernte Englisch, traf Slamas Familie. Ende Oktober 2012 heirateten sie in Tunesien. Zwei Monate später zog Slama nach Lubawa. "Es war ein Schock, das schreckliche Klima, das schwere Essen. Und ich konnte die Sprache nicht - Englisch sprechen nur wenige", erzählt er. Slama kämpfte nicht nur mit dem Winter und den Tücken des Polnischen. Unter den 9500 Einwohnern Lubawas, früher Löbau, sind kaum Ausländer, erst recht keine dunkelhäutigen. Und im ganzen Land wachsen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.
Nach einem halben Jahr wurde Slama erstmals angegriffen. "Du verfickter Nigger!", schrien sie und brachen ihm einen Daumen. Dann die Nase. Ein anderes Mal schlug man ihm zwei Zähne aus. "Ich erinnere mich nicht mehr an alle Angriffe - es waren zu viele", sagt Slama. Als ihn einmal acht Polen verfolgten, habe er sich zu einer Polizeistreife geflüchtet. Statt zu helfen und die Angreifer festzunehmen, habe ihn ein Polizist niedergeschlagen und aufs Revier gebracht. "Danach habe ich nicht mal mehr überlegt, Angriffe anzuzeigen."
Die Chronik fremdenfeindlicher Zwischenfälle ist lang
Den Warschauer Soziologen Rafał Pankowski erstaunt das alles nicht. "Polen ist heute das ethnisch homogenste Land in Europa, Erfahrungen mit Ausländern fehlen. Wir haben seit Mitte der Neunzigerjahre Probleme mit Nationalismus und Rassismus, gerade in der Jugendkultur und bei Ultras der Fußballszene", sagt Pankowski, ein Leiter der Anti-Rassismus-Gruppe Nigdy Więcej (Nie wieder).
Die Chronik fremdenfeindlicher Zwischenfälle ist lang und reicht Jahre zurück. "Die Annahme unserer liberalen Elite, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit würden bei jungen Polen verschwinden, die in einer Demokratie aufwachsen, war ein Irrtum. Viele junge Polen sind fremdenfeindlicher als ihre Eltern und Großeltern." Das Meinungsforschungsinstitut CBOS fand heraus, dass 87 Prozent der 18- bis 24-Jährigen dagegen sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Flüchtlingskrise habe seit Sommer 2015 die Stimmung gegen Ausländer verschärft - "obwohl wir gar keine Flüchtlinge aufnehmen", sagt Pankowski. "Aber viele Medien und Politiker haben gegen Ausländer gehetzt."
"Was machst du dann bei uns? Scher dich nach Hause!"
Jarosław Kaczyński, Chef der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis), sammelte im Wahlkampf 2015 Stimmen mit falschen Behauptungen von Scharia-Recht in Schweden oder von eingeschleppten Krankheiten. Die Pis und die Bewegung von Ex-Rocksänger Paweł Kukiz brachten Nationalisten und Rechtsradikale ins Parlament, die Pis-Regierung löste den Anti-Rassismus-Rat auf. Als im November 2017 mehr als 60 000 Nationalisten durch Warschau marschierten, Rechtsradikale gegen Muslime und Juden hetzten, lobte Innenminister Mariusz Błaszczak die Kundgebung als "schönes Bild". Pankowski sagt: "Die Regierung hat Rechtsradikale und Rassismus hoffähig gemacht", 38 Prozent der Polen bis 24 Jahre sagten, dass sie Gruppen wie die neofaschistische ONR unterstützten.
In Lubawa überwand Salah Slama die Ablehnung der katholischen Schwiegermutter gegen die Ehe ihrer Tochter mit einem Muslim; mit den Brüdern seiner Frau verstand er sich bestens, sprach bald fließend Polnisch. Doch in der Kneipe verliefen Gespräche so: "Du bist Muslim?" - "Ja." - "Dann isst du kein Schweinefleisch?" - "Nein." - "Was machst du dann bei uns? Scher dich nach Hause!" In Lubawa seien auch Ukrainer zusammengeschlagen worden, sagt Slama. Ultrarechte hetzen auch gegen sie als angebliche Gefahr.