Rechtsextremismus in Ostdeutschland:Der Widerstand wächst

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Ostdeutschland gilt immer noch als Hort der Neonazis. Doch längst wehren sich dort die Bürger gegen die Extremisten. Selbst NPD-Größen müssen damit rechnen, dass sich ihren Auftritten und Aufmärschen mehr Bürger entgegenstellen, als eigene Anhänger kommen.

Jan Bielicki

Sie kamen aus dem Osten. Die Plattenbauten der Jenaer Stadtteile Winzerla und Lobeda sind noch immer sichtbar ein Erbe der untergegangenen DDR. Hier sind Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aufgewachsen, hier sind sie Neonazis geworden, und ganz in der Nähe sollen sie ihre ersten Bomben gebaut haben.

Proteste gegen Demonstration von Rechten in Neuruppin Demonstration gegen einen Aufmarsch von Neonazis am Samstag (14.04.2012) im brandenburgischen Neuruppin. Nach Angaben der Polizei haben vier Gruppen Veranstaltungen am Bahnhof West und in der Innenstadt angekündigt, darunter das Aktionsbündnis ´Neuruppin bleibt bunt". Geplant sind unter anderem Kundgebungen. Der Protest richtet sich gegen eine Demonstration, die laut Polizei ein Privatmann aus der rechten Szene angemeldet hat. Wie viele Teilnehmer jeweils erwartet werden, sagte die Polizei im Vorfeld nicht. Foto: Patrick Pleul dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++ (Foto: dpa)

Auch als sie untertauchten, blieben sie im Osten, lebten unentdeckt in Chemnitz und in Zwickau - bis Böhnhardt und Mundlos am 4. November des vergangenen Jahres ihrem Leben in einem Wohnmobil in Eisenach ein Ende setzten. Getötet hat die Terrorzelle des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) vor allem im Westen: Zu neun ihrer zehn Morde reisten die Täter nach Nürnberg, München, Hamburg, Dortmund, Kassel und Heilbronn.

Dass für die lange rätselhafte Mordserie Neonazis aus dem Osten verantwortlich waren, hat die Behörden völlig überrascht. Dabei passte das Trio aus Jena nur zu gut ins gängige Bild von der braunen Gewalt in Deutschland. Wo sollte sich eine rechtsextreme Terrorgruppe sonst bilden, wenn nicht im Osten Deutschlands? Dort, wo der Rechtsextremismus bundesweit am tiefsten verwurzelt ist?

Jeder dritte Rechtsextreme kommt aus den fünf neuen Ländern

Dafür jedenfalls sprechen auch im Jahr 22 nach der Wiedervereinigung fast alle Zahlen, Daten und Wahlergebnisse: Jeden dritten deutschen Rechtsextremisten zählen die Verfassungsschützer in den fünf neuen Ländern, in denen nur ein Sechstel der Einwohner Deutschlands lebt.

Auch zu rechtsextremen Gewalttaten kam es 2011 laut Bundeskriminalamt in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen im Einwohnerschnitt mehr als doppelt so häufig als etwa in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen und gar zehnmal so oft wie in Baden-Württemberg. Und nur in den Ost-Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sitzen Abgeordnete der rechtsextremen NPD in den Landtagen.

Bei örtlichen NPD-Wahlergebnissen von bis zu 20 Prozent sind die Neonazis, ihre Kameradschaften und Schlägertruppen in manchen Kleinstädten und ländlichen Gebieten der Lausitz, der Sächsischen Schweiz oder Vorpommerns ein Faktor, mit dem zu rechnen ist.

Hass-Botschafter aus dem Westen nutzten ihre Chance

Es wäre dennoch zu einfach, den Rechtsextremismus vor allem im Osten orten zu wollen. Der Rechtsextremismus war nie und ist heute weniger denn je allein ein Problem Ostdeutschlands. In den turbulenten und in vielen Gegenden der neuen Länder krisenhaft verlaufenden Jahren nach dem Fall der Mauer gab es im Osten viele, vor allem junge Leute, die für Hass-Botschaften anfällig waren - und im Westen gab es die Hass-Botschafter, die genau darin ihre Chance witterten.

"Traumhaft" nannte Michael Kühnen, damals wichtigste Leitfigur der neonazistischen Ultras Westdeutschlands, die Aufnahmebereitschaft für extremistisches Gedankengut, die das DDR-Regime mit seinen autoritären Erziehungsidealen in den Köpfen vor allem junger Männer hinterlassen hatte. West-Neonazis wie Kühnen zog es in den Neunzigern in den Osten. So hat die NPD zwar ihr größtes Wählerpotenzial im Osten, wird aber an der Spitze bis heute von Leuten aus dem Westen geprägt: Udo Pastörs etwa, Chef von Mecklenburg-Vorpommerns NPD-Landtagsfraktion, ist Rheinländer ebenso wie der langjährige Parteichef Udo Voigt.

Neonazigruppe NSU im Visier der Fahnder
:Urlaubsfotos der NSU-Terroristen

Das Bundeskriminalamt veröffentlichte im Mai 2012 bis dato unbekannte Fotos des Zwickauer Neonazi-Trios. Die privaten Urlaubsbilder von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe entstanden vermutlich zwischen 1990 und 2009.

Dessen Nachfolger Holger Apfel, der gleichzeitig der sächsischen Landtags-NPD vorsteht, kommt aus Niedersachsen. Auch zentrale Figuren aus der Szene der "Freien Kameradschaften", wie der Niedersachse Thorsten Heise, verlegten Wohnsitz und Aktionsgebiet in den Osten. Sogar Karl-Heinz Hoffmann, bis zu deren Verbot Chef der berüchtigten, nach ihm benannten "Wehrsportgruppe", tauchte nach seiner Haftentlassung in Thüringen auf.

Was es im Osten nicht oder zu wenig gab in den Umbruchjahren, war ein funktionierender und motivierter Sicherheitsapparat - und eine Zivilgesellschaft, die dem rechten Treiben machtvoll hätte entgegentreten können. Neonazis konnten Anfang der Neunzigerjahre nahezu ungestört tun, was sie wollten, und sogar mit Sympathien erheblicher Teile der Bevölkerung rechnen, wie die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen bewiesen.

Als sich der Staatsschutz in den neuen Ländern endlich gefunden hatte, war es zu spät. Die Rechtsextremen waren vielerorts im Osten längst fester und bedrohlicher Bestandteil des Gemeindelebens. Aber auch im Westen - in Baden-Württemberg, Bremen und Schleswig-Holstein - zogen Rechtsextremisten in Landesparlamente ein. Allerdings begann sich im Westen, vor allem nach den Mordanschlägen von Mölln und Solingen, die Zivilgesellschaft zu regen. Im Osten jedoch war sie noch lange nicht so weit.

Neonazis im Westen kopieren Taktiken aus dem Osten

Genau in diese Zeit führt der Fall der Zwickauer Terrorzelle zurück. Damals haben sich die drei jungen Jenaer radikalisiert, bis sie, mit Anfang 20, im Januar 1998 in den Untergrund gingen. Sie und ihr Umfeld waren jedoch nicht allein in ihrer mörderischen Radikalität. In den Jahren, in denen sie mordeten, schritten Rechtsextremisten auch im Westen zu terroristischer Gewalt: In München flog 2003 eine Gruppe auf, die einen Anschlag auf den Festakt zur Grundsteinlegung der dortigen Synagoge plante.

Anderswo im Westen versuchen Neonazis aus der neuen Generation der sogenannten Autonomen Nationalisten die von ihren Kameraden im Osten erprobte Taktik, durch Straßengewalt "national befreite Zonen" zu schaffen, zu kopieren - etwa im Aachener Land oder im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld.

Allein in Dortmund, wo der NSU einen Ladenbetreiber erschoss, starben seit der Jahrtausendwende vier weitere Menschen bei Gewaltakten rechtsextremer Täter. 2011 zählten Opferberatungsstellen bundesweit zwei Todesopfer rechter Gewalt: Im rheinischen Neuss wurde ein vietnamesischer, in Sachsen ein deutscher Obdachloser von offenbar rechtsextremen Tätern zu Tode geprügelt.

Antifaschistische Intiativen längst fest etabliert

Dennoch, und so bedrohlich rechtsextreme Kameradschaften die Nächte in manchen Ortschaften Sachsens, Sachsen-Anhalts oder Vorpommerns beherrschen mögen, haben sie zuletzt zusehends an Boden verloren. Denn inzwischen ist auch im Osten der gesellschaftliche Widerstand erstarkt, auch über die Universitätsstädte hinaus, wo sich antifaschistische Initiativen längst fest etabliert haben.

Heute - und dazu trägt das Entsetzen über die Morde der Neonazi-Terroristen bei - müssen NPD-Größen auch in Ostdeutschland damit rechnen, dass sich ihren Auftritten und Aufmärschen mehr Bürger entgegenstellen, als eigene Anhänger kommen. Noch vor ein paar Jahren konnte die Partei ihre Feste weitgehend ungestört mit Tausenden Leuten feiern.

Zu ihrem diesjährigen "Pressefest" kamen nur noch einige hundert Rechte ins vorpommersche Pasewalk - und sogar hier, in einer Gegend, die die Kameradschaften bereits für sich gewonnen glaubten, säumten mehr als 2000 Bürger protestierend die Straßen. Sie kamen fast alle aus dem Osten.

© SZ vom 14.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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